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Axis

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Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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oder so etwas, denn Lise hatte recht: Der Wahnsinn war auf dem Vormarsch. Doch dort draußen erstreckte sich nur die zentraläquatorianische Wüste unter einem blassen Mond. Ein Anblick, bei dem man sich ganz winzig fühlen konnte.
    Ein weiteres leichtes Beben erschütterte die nutzlose Lampe auf dem Nachttisch.
     
    Isaac spürte das Beben, aber es weckte ihn nicht auf. Er hatte in letzter Zeit zunehmend die Fähigkeit eingebüßt, zwischen Wach- und Schlafzustand zu unterscheiden.
    Unermüdlich drehte sich die Uhr der Sterne in seinem Innern. Er träumte Dinge, für die er keine Worte hatte. Es gab so vieles, wofür er keine Worte hatte. Und es gab Worte, die er kannte, aber nicht verstand: Liebe zum Beispiel.
    Ich liebe dich, hatte Mrs. Rebka ihm zugeflüstert.
    Er hatte nicht gewusst, was er darauf antworten sollte. Aber das war nicht weiter schlimm. Sie schien gar keine Antwort erwartet zu haben. Ich liebe dich, Isaac, mein Sohn, hatte sie geflüstert und sich dann abgewandt.
    Was bedeutete das?
    Was bedeutete es, wenn er die Augen schloss und die kreisenden Sterne sah oder die Feuer tief in der westlichen Wüste? Was bedeutete es, dass er aus diesem unendlichen Mosaik ausgerechnet die Stimme von Esh, einem marsianischen Jungen, aufrufen konnte? Konnte er sich an Esh erinnern oder war da etwas, das sich durch ihn an Esh erinnerte?
    Eines nämlich wusste Isaac: Das Ereignis, zu dem er bestellt worden war, zu dem all die Hypothetischen-Maschinen aus ihrer gemächlichen Bahn am Himmel abberufen worden waren, würde ein Erinnern sein.
    Ein Erinnern, das größer war als die Welt selbst.
    Er fühlte es kommen. Die Kruste des Planeten geriet in Bewegung, ihr Zittern stieg durch die Fundamente des Gebäudes, durch den Fußboden, die Querbalken, die Längsbalken, durch den Bettrahmen und die Matratze, und Isaac zitterte mit, von Freude erfasst, während Erinnerung und Vergessen mit Riesenschritten vorrückten, mit Schritten so groß wie Kontinente, bis er sich schließlich fragte:
    Ist das jetzt Liebe?

 
     
     
FÜNFTER TEIL
     
     
IN GEGENWART DES UNAUSSPRECHLICHEN

 
25
     
     
    Sie hatten gerade die Ausläufer der Ölfelder erreicht – das dünne Ende des Nirgendwo –, als der dritte und stärkste Ascheregen begann.
    Im Radio hatte es Vorwarnungen gegeben. Leichte Niederschläge in Port Magellan, aber dichte Schwaden im Westen, als hätten sie dort ihr Zentrum.
    Als Dvali sie von der Bedrohung in Kenntnis setzte, war diese bereits sichtbar geworden. Lise sah durch das Heckfenster, wie sich Wolken von der Farbe kochenden Schiefers am eben noch hellblauen Himmel bildeten.
    »Wir müssen uns dringend irgendwo unterstellen«, hörte sie Turk sagen.
     
    Im Südwesten konnte Turk die silberschwarzen Silhouetten des Aramco-Bohrkomplexes erkennen. Einige der Türme schienen sich zur Seite zu neigen, doch das konnte auch eine Sinnestäuschung sein. Das Gelände war ganz offensichtlich evakuiert worden, dennoch war anzunehmen, dass es weiterhin bewacht wurde.
    Glücklicherweise fuhren sie in eine andere Richtung, passierten den Gewerbering, der um die Ölfelder gewachsen war: Bars, Striplokale, ein Einkaufszentrum und eine Reihe robuster Betongebäude, in denen sich Ein- und Zweizimmerwohnungen stapelten.
    Turk, der mit Lise und Dvali in einem Auto saß, sah, wie der zweite Jeep auf das Einkaufszentrum zufuhr. Dvali bog ebenfalls ab. Vor dem Supermarkt kamen sie beide zum Stehen.
    »Vorräte«, erläuterte Diane.
    »Dafür haben wir keine Zeit«, erwiderte Dvali mit ernster Miene. »Wir müssen einen sicheren Unterschlupf finden.«
    »Wie wär’s mit dem Gebäude da direkt vor uns? Ihr brecht da ein oder was immer nötig ist, und wir kommen hinterher, sobald wir etwas zu essen gefunden haben.«
    Dvali gefiel dieser Vorschlag offensichtlich nicht, doch ebenso offensichtlich war für Turk, dass er Hand und Fuß hatte: Die notwendigsten Dinge drohten ihnen auszugehen, und der Ascheregen würde sie womöglich auf unabsehbare Zeit von der Außenwelt abschneiden.
    »Na schön, aber macht schnell«, sagte Dvali mürrisch.
     
    Wer immer diese Arbeiterunterkünfte angelegt hatte, schien es nicht für nötig gehalten zu haben, die Anstaltsatmosphäre zu übertünchen. Umgeben waren sie von verwittertem Betonpflaster, einem leeren Parkplatz und einem eingezäunten Tennisplatz, dessen Netz traurig durchhing. Die Tür, auf die Turk zuging, war aus gelb angestrichenem Stahl, im Laufe der Jahre tausendfach misshandelt von den

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