Axis
Punkt.«
Turk suchte sich eine Unterkunft in Port Magellan, lebte eine Weile von seinen Ersparnissen und machte immer mal wieder eine Stippvisite bei der Gewerkschaft der Seeleute, um nach Tomas zu sehen. Doch der ließ sich dort nicht blicken. Worüber sich Turk zunächst keine Gedanken machte. Tomas konnte wer weiß wo sein; er konnte es sich etwa ohne Weiteres in den Kopf gesetzt haben, die Berge zu überqueren. Also aß Turk in der Union Hall zu Abend oder genehmigte sich einen Drink und dachte nicht weiter an seinen Kumpel, aber als dann ein Monat vergangen war, kramte er den Fahrschein hervor und wählte Dianes Nummer.
Er hörte eine automatische Ansage, die ihm mitteilte, die Nummer sei nicht mehr gültig.
Das machte ihn so neugierig wie besorgt. Sein Geld ging zur Neige und er beabsichtigte, bei den Pipelines anzuheuern, doch vorher nahm er noch den Bus die Küste hinauf und wanderte dann einige Kilometer bis zum Breaker Beach. Einer der Abwrackerbosse erinnerte sich an Tomas. Er sagte Turk, sein Freund sei krank geworden, das sei zwar bedauerlich gewesen, doch sie könnten sich hier nicht um Kranke kümmern, also hätten Ibu Diane und einige Minang-Fischer den alten Mann in ihr Dorf geschafft.
Turk aß etwas in einem chinesischen Blechdach-Restaurant, dann fuhr er per Anhalter weiter am Meer entlang bis zu einer Hufeisenbucht, die in der langen äquatorianischen Dämmerung ein buntes Farbenspiel aufführte. Der Fahrer, ein Handelsvertreter einer westafrikanischen Importfirma, setzte ihn an einer unbefestigten Straße und einem Schild mit einer bogenförmigen Schrift ab, die Turk nicht lesen konnte. Minang-Dorf da runter, sagte der Mann. Turk lief einige Kilometer durch den Wald, und gerade als die Sterne hell und die Insekten lästig wurden, gelangte er zu einer Reihe von Holzhäusern mit Büffelhorntraufen und einem von Laternen beleuchteten Gemischtwarenladen, wo Männer mit Baseballcaps an Kabeltrommeltischen saßen und Kaffee tranken. Er setzte sein charmantestes Lächeln auf und fragte einen Vorbeikommenden, wie er am besten zu Doktor Dianes Ambulanz komme.
Der Passant lächelte ebenfalls, nickte und rief dann etwas zu den Tischen hinüber. Sofort kamen zwei junge muskulöse Männer herbeigelaufen und nahmen Turk in die Mitte. »Wir bringen Sie hin«, sagten sie auf Englisch, nachdem er sein Anliegen wiederholt hatte – und auch sie lächelten, doch Turk hatte das ungute Gefühl, dass man ihn gerade in Gewahrsam genommen hatte.
»Ich muss ziemlich am Arsch gewesen sein, als du mich endlich gefunden hast«, sagte Tomas.
»Kannst du dich nicht erinnern?«
»Kaum.«
»Ja. Du warst ziemlich am Arsch.«
Und tatsächlich: Turk fand Tomas ans Bett gefesselt, völlig ausgemergelt, nach Luft ringend im Hinterzimmer eines großen Holzgebäudes, das Diane als ihre »Ambulanz« bezeichnete.
Turk sah mit Entsetzen auf seinen Freund herab. »Mein Gott, was ist mit ihm passiert?«
»Beruhigen Sie sich«, sagte Ibu Diane. Ibu wurde sie von den Dorfbewohnern genannt; es schien eine Art Ehrentitel zu sein.
»Liegt er im Sterben?«
»Nein. Entgegen dem äußeren Anschein ist er dabei, sich zu erholen.«
»Und das alles von einer Schnittwunde im Arm?«
Tomas sah aus, als hätte man ihm einen Schlauch eingeführt und seine Innereien abgepumpt. Turk konnte sich nicht erinnern, je einen dünneren Menschen gesehen zu haben.
»Es ist ein bisschen komplizierter. Setzen Sie sich, ich werde es Ihnen erklären.«
Vor dem Fenster der Ambulanz, im Dorf, ging es trotz Dunkelheit recht lebhaft zu. Laternen baumelten an Regenrinnen, und man konnte den blechernen Klang irgendwelcher Musikkonserven hören. Diane machte Kaffee mittels Elektrokessel und Cafetiere, das Ergebnis war wunderbar heiß und stark.
Früher habe es hier zwei richtige Ärzte gegeben, sagte sie dann. Ihr Ehemann und eine Minang-Frau, die beide vor einiger Zeit eines natürlichen Todes gestorben waren. Jetzt war nur noch sie übrig, und die einzigen medizinischen Kenntnisse, die sie besaß, waren die, die sie bei ihrer Tätigkeit als Krankenschwester erworben hatte. Es genügte, um den Ambulanzbetrieb aufrechtzuerhalten – eine unverzichtbare Einrichtung nicht nur für dieses Dorf, sondern auch für ein halbes Dutzend weiterer in der Nähe sowie für die Abwracker. Wen sie nicht behandeln konnte, überwies sie an die weiter küstenaufwärts gelegene Rote-Halbmond-Klinik oder an das Katholische Wohlfahrtshospital in Port Magellan, auch
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