Axis
Telefon sah. Drei Nachrichten waren verzeichnet, alle drei mit einem Dringlichkeitsvermerk, alle drei von Turk. Und in diesem Moment ging eine vierte ein.
ZWEITER TEIL
DIE AUGENROSE
8
Nach dem Staubniederschlag – als der Himmel wieder klar, der Hof sauber gefegt war und die Wüste oder der Wind alles aufgenommen hatten, was noch übrig geblieben war – erreichte ein weiteres Rätsel die Gemeinschaft, zu der der zwölfjährige Isaac gehörte.
Die Asche war reichlich furchteinflößend gewesen, solange sie fiel, und war anschließend zum Gegenstand endloser Diskussionen und Spekulationen geworden. Das neue Rätsel wurde auf prosaischere Weise vorstellig – als aus der Stadt über die Berge hinweg übermittelte Nachrichtenmeldung. Auf den ersten Blick weniger erschreckend, berührte es jedoch unangenehmerweise eines von Isaacs Geheimnissen.
Er hatte gehört, wie zwei der Erwachsenen, Mr. Nowotny und Mr. Fisk, sich im Flur vor dem Speisesaal darüber unterhielten. Schon vor dem Ascheregen waren alle kommerziellen Flüge ins Ölgebiet der Rub al-Khali gestrichen oder umgeleitet worden, und jetzt gab es dazu seitens der Provisorischen Regierung und der Ölfirmen eine offizielle Erklärung: Es habe ein Erdbeben gegeben.
Das sei ein Rätsel, bemerkte Mr. Nowotny, weil es, soweit bekannt, keinerlei Verwerfungen unter diesem Teil der Rub al-Khali gebe: es handele sich um geologisch stabilen Wüstenkraton, unverändert seit Millionen von Jahren. So tief in der Rub al-Khali hätte es daher nicht einmal eine leichte Erschütterung geben dürfen.
Doch es war der Meldung zufolge mehr als eine Erschütterung gewesen – die Ölförderung war für über eine Woche eingestellt worden, die Bohrlöcher und Pipelines hatten schwere Schäden erlitten.
»Wir wissen weniger über diesen Planeten, als wir dachten«, sagte Mr. Nowotny.
Für Isaac allerdings war das alles nicht ganz so rätselhaft. Er wusste – wenn er auch nicht sagen konnte, woher –, dass sich etwas regte unter dem trägen Sand tief in der westlichen Wüste. Er spürte das, in seinem Körper, in seinen Gedanken. Etwas regte sich, und es sprach in Worten, die er nicht verstand, und er konnte, obwohl er Hunderte von Kilometern davon entfernt war, mit geschlossenen Augen auf dieses Etwas zeigen, das erst halb aus einem Schlaf erwacht war, ein Schlaf, der so lange währte wie das Leben eines Berges.
Nach dem Ascheregen waren sie zwei Tage lang alle im Gebäude geblieben, bei geschlossenen Türen und Fenstern, bis Dr. Dvali verkündete, dass die Asche nicht schädlich sei. Auch Isaac erhielt von Mrs. Rebka die Erlaubnis, nach draußen zu gehen, jedenfalls auf den Hof, bis zu den Gärten, vorausgesetzt, dass er eine Stoffmaske trug. Zwar war der Hof gesäubert worden, doch konnten noch immer Staubreste in der Luft hängen, und sie wollte nicht, dass er irgendwelche Partikel einatmete. Er dürfe sich keiner Gefährdung aussetzen, sagte sie.
Bereitwillig trug Isaac die Maske, obwohl ihm damit um den Mund und die Nase ziemlich warm wurde. Von dem Staub waren nur klumpige Rückstände geblieben, die an den Backsteinwänden und den Holzzäunen hingen. Unter der unnachgiebigen Nachmittagssonne kniete sich Isaac neben eine kleinere Verwehung und durchsiebte die Asche mit der Hand.
Dr. Dvali zufolge enthielt sie winzige Bruchstücke von kaputten Maschinen.
Von diesen Maschinen war, soweit er sehen konnte, nicht viel übrig geblieben, doch ihm gefiel die Körnigkeit der Asche und die Art, wie sie sich in seiner Hand sammelte und wie Talk durch seine Finger glitt. Es gefiel ihm, wie sie sich zu einem flockigen Klumpen verdichtete, wenn er sie zusammendrückte, und sich in der Luft zerstreute, sobald er die Hand wieder öffnete.
Die Asche glitzerte, ja, sie leuchtete sogar. Allerdings war das nicht ganz das korrekte Wort, wie Isaac wusste. Es war nämlich nicht die Sorte Leuchten, die man sehen konnte, es war eine andere Art von Leuchten, auf andere Weise wahrgenommen. Niemand sonst hier verstand das, außer vielleicht Sulean Moi. Wenn er nur einen Weg finden würde, sie danach zu fragen.
Isaac hatte eine Menge Fragen, die er Sulean Moi stellen wollte. Doch seit dem Ascheregen war sie sehr beschäftigt, oft in Besprechungen mit anderen Erwachsenen, und er musste warten, bis er an der Reihe war.
Beim Abendessen fiel Isaac auf, dass die Erwachsenen, wenn sie sich über den Ascheregen unterhielten, dazu neigten, ihre Fragen an Sulean
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