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Axis

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Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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Moi zu richten. Das wunderte ihn, denn er hatte immer angenommen, dass die Erwachsenen, mit denen er zusammenlebte, mehr oder weniger allwissend seien. Jedenfalls waren sie viel klüger als gewöhnliche Menschen. Er wusste das nicht aus eigener Erfahrung – Isaac war nie irgendwelchen gewöhnlichen Menschen begegnet –, aber er hatte sie auf Video gesehen und in Büchern über sie gelesen. Gewöhnliche Menschen sprachen selten über interessante Dinge und verletzten sich oft auf brutale Weise. Hier in der Gemeinschaft gab es mitunter heftige Diskussionen, doch niemand schlug dabei über die Stränge. Alle waren weise (oder schienen es jedenfalls zu sein), alle waren ruhig und gelassen (oder gaben sich alle Mühe, diesen Eindruck zu erwecken), und alle, außer Isaac, waren alt.
    Sulean Moi war ganz offensichtlich auch kein gewöhnlicher Mensch. Irgendwie wusste sie mehr als die anderen Erwachsenen, zu denen Isaac stets aufgeblickt hatte, und - was noch verblüffender war – sie schien sie nicht sonderlich zu mögen. Doch sie stellte sich höflich ihren Fragen.
    »Natürlich hat es mit den Hypothetischen zu tun«, sagte Dr. Dvali zu Sulean Moi. »Meinen Sie nicht?«
    »Es ist ein nahe liegender Schluss.« Skeptisch beäugte die alte Frau den Inhalt ihrer Schüssel. Die Erwachsenen wechselten sich regelmäßig beim Kochen ab, allerdings gab es eine Handvoll, die sich häufiger dazu bereit erklärten als die anderen. Heute Abend hatte Mr. Posell den Küchendienst übernommen. Mr. Posell war Geologe, und als Koch legte er mehr Begeisterung als Talent an den Tag. Das Gemüse in Isaacs Schüssel schmeckte nach Knoblauch, Öl und etwas furchtbar Verbranntem.
    »Haben Sie irgendetwas in dieser Art schon einmal selber gesehen oder davon gehört?«, fragte Dr. Dvali.
    Zwar gab es keine offizielle Hierarchie unter den Erwachsenen der Gemeinschaft, aber in der Regel war es Dr. Dvali, der die Führung übernahm, wenn wichtige Angelegenheiten zu behandeln waren, und dessen Erklärungen, sobald sie ausgesprochen waren, als letztes Wort zur Sache betrachtet wurden. Er hatte stets ein großes Interesse für Isaac gezeigt. Die Haare auf seinem Kopf waren weiß und seidenfein, die Augen groß und braun, die Brauen struppig wie wild wachsende Hecken. Isaac war ihm immer duldsam, beinahe gleichgültig begegnet, in letzter Zeit jedoch hatte er, aus Gründen, die er selbst nicht verstand, eine Abneigung gegen ihn entwickelt.
    »Nicht genau in dieser Art«, erwiderte Sulean Moi. »Aber mein Volk hat etwas mehr Erfahrung mit der Nachspinwelt sammeln können als Ihres, Dr. Dvali. Von Zeit zu Zeit fallen schon einmal ungewöhnliche Dinge vom Himmel.«
    Wer war »mein Volk«, und von welchem Himmel sprach sie?
    »Zu den auffallendsten Lücken in den Marsianischen Archiven«, sagte Dr. Dvali, »gehört die Tatsache, dass es keinerlei Erörterung über das Wesen der Hypothetischen gibt.«
    »Vielleicht gab es dazu nichts Substanzielles zu sagen.«
    »Und was ist Ihre Meinung dazu, Ms. Moi.«
    »Die selbstreproduzierenden Apparate, aus denen die Hypothetischen hervorgehen oder die sie ausmachen, haben viel mit lebenden Wesen gemeinsam. Sie bearbeiten ihre Umwelt. Sie bauen komplizierte Gebilde aus Stein und Eis und vielleicht sogar aus leerem Raum. Und ihre Nebenprodukte sind nicht gegen Verfallsprozesse gefeit – sie altern, erodieren und werden systematisch ersetzt. Das würde die Abfälle im Staub erklären.«
    Kaputte Maschinen sind auf uns gefallen, dachte Isaac.
    »Aber die schiere Masse über so viele Quadratkilometer verteilt…«
    »Ist das denn so verwunderlich? Angesichts des ungeheuren Alters der Hypothetischen kann die Tatsache, dass zersetzte Mechanismen vom Himmel fallen, doch nicht verwunderlicher sein als die, dass Ihr Garten organischen Mulch hervorbringt.«
    Woher wusste Sulean Moi solche Sachen? Isaac war entschlossen, es herauszufinden.
     
    In der Nacht wurde der starke Südwind noch heftiger. Isaac lag im Bett und hörte zu, wie das Fenster in der Verankerung klapperte. Hinter dem Glas waren die Sterne von dem feinen Sand verwischt, der aus der Ödnis der Rub al-Khali hergeweht wurde.
    Alt – das Universum war alt. Es hatte viele Wunder hervorgebracht, darunter die Hypothetischen, aber nicht zuletzt auch Isaac selbst: seinen Körper, seine Gedanken.
    Wer war sein Vater? Wer war seine Mutter? Seine Lehrer hatten diese Fragen nie richtig beantwortet. Dr. Dvali sagte immer: Du bist nicht wie andere Kinder, Isaac. Du

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