Axis
Leben in Abgeschiedenheit zu verbringen. Einige von uns sind stärker organisiert als andere. Wir halten zwar aus naheliegenden Gründen keine Versammlungen ab, aber ich bin den meisten bekannten Vierten irgendwann einmal begegnet und ich kann die verschiedenen Gruppen und Untergruppen ganz gut einordnen.«
»Dvali hatte also seine eigene Gruppe.«
»Das habe ich jedenfalls gehört. Gleichgesinnte. Nicht sehr viele.« Diane hielt kurz inne. »Wir heißen Vierte, wissen Sie, weil die Behandlung bedeutet, dass man in ein viertes Lebensalter eintritt, ein Erwachsensein jenseits des Erwachsenseins. Aber sie bietet keine Garantie für eine besondere Reife oder Weisheit. Avram Dvali hat seine Obsession in die Viertheit mitgenommen.«
»Was für eine Obsession?«
»Die Hypothetischen. Die transzendenten Kräfte des Universums. Manche Menschen hadern mit ihrem Dasein. Sie wollen erlöst werden durch etwas, das größer ist als sie selbst. Sie wollen Gott berühren. Das Paradox der Viertheit liegt darin, dass sie ein Magnet für solche Menschen ist.
Wir versuchen sie unter Kontrolle zu halten, aber…« Diane zuckte mit den Achseln. »Wir haben nicht die Mittel, die die Marsianer haben.«
»Sein Ziel war also die Erschaffung eines…«
»Eines Kommunikanten, einer menschlichen Schnittstelle mit den Hypothetischen. Und es war ihm bitter ernst damit. Er hat seine Gruppe rekrutiert und dann sein Möglichstes getan, sie von unserer Gemeinschaft zu isolieren. Sie wurden immer geheimnistuerischer, je weiter der Prozess gedieh.«
»Und sie konnten ihn nicht aufhalten?«
»Wir haben es natürlich versucht. Dvalis Projekt war ja nicht das erste dieser Art, und in der Vergangenheit hat das Eingreifen anderer Vierter immer ausgereicht, um derartige Dinge zu unterbinden – mit Unterstützung, wenn nötig, von Sulean Moi, deren Autorität von den meisten Vierten nicht in Frage gestellt wird. Aber Dvali war gegen moralische Appelle immun, und als Sulean hier eintraf, waren er und seine Gruppe bereits untergetaucht. Seither hatten wir nur sehr sporadisch Kontakt mit ihnen.«
»Und Sie meinen, es gibt dort ein Kind?«
»Ja. Sein Name ist Isaac, wie ich höre. Er müsste inzwischen zwölf sein.«
»Mein Vater ist vor zwölf Jahren verschwunden. Glauben Sie, er könnte sich dieser Gruppe angeschlossen haben?«
»Nein. Nach der Beschreibung Ihres Vaters und nach dem, was ich von Dvalis Rekrutierungskriterien weiß – nein, tut mir leid.«
»Dann wusste er vielleicht irgendetwas über sie – und sie haben ihn entführt.«
»Als Vierte haben wir Hemmungen gegen solche Art von Gewalt. Es ist nicht unmöglich, aber es ist extrem unwahrscheinlich. Ich habe nicht einmal gerüchteweise gehört, dass Dvali zu etwas Derartigem fähig wäre. Sollte Ihrem Vater etwas in dieser Richtung zugestoßen sein, dann war es eher das Werk der Genomischen Sicherheit. Sie waren Dvali schon damals auf den Fersen.«
»Warum sollte das MfGS meinen Vater entfuhren?«
»Um ihn zu verhören. Vielleicht hat er sich dem widersetzt.«
»Warum sollte er sich widersetzen?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe Ihren Vater nie kennengelernt, ich kann das nicht beurteilen.«
»Sie haben ihn also verhört und dann – was? Umgebracht?«
»Ich weiß es nicht.«
»Im MfGS«, sagte Turk, »gibt es sogenannte Executive Action Committees, Lise. Die schreiben sich ihre eigenen Gesetze. Das sind mit ziemlicher Sicherheit die Leute, die sich Tomas geholt haben. Er ist ein Vierter, und Vierte sind bekanntermaßen schwer zu verhören – sie können ganz schön was einstecken. Um aus einem störrischen Vierten Informationen herauszubekommen, muss man ihn auf eine Weise bearbeiten, die oft tödlich endet.«
»Du meinst, sie haben Tomas umgebracht?«
»Das vermute ich. Oder ihn in irgendein geheimes Gefängnis geschafft, um ihn dort etwas langsamer zu töten.«
Wusste Brian davon? Lise stellte sich vor, wie die MfGS-Leute im Konsulat über sie lachten, über ihre naive Suche nach der Wahrheit. Sie war auf einer dünnen Eisschicht über einen Abgrund gelaufen – beschützt nur von ihrer Unwissenheit.
Nein. Als Institution mochte die Genomische Sicherheit zu dergleichem fähig sein, Brian war das nicht. Sie kannte ihn sehr genau. Er war alles Mögliche. Aber er war kein Mörder.
So clever Ibu Diane mit der Entsorgung des Autos und der Kleidung auch verfahren war – als sie das Waldgebiet verließen und in die industrialisierten Randbezirke von Port Magellan kamen,
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