Axis
besuchen, doch vor seiner Tür stand Mrs. Rebka, die Arme über der Brust verschränkt. »Es geht ihm nicht gut«, sagte sie.
»Ich werde nur kurz mit ihm sprechen.«
»Lassen wir ihn lieber ausruhen. Er hat Fieber. Kommen Sie, ich glaube, wir sollten uns einmal unterhalten, Ms. Moi.«
Die beiden Frauen gingen hinaus auf den Hof. Sie hielten sich im Schatten des Hauptgebäudes, setzten sich auf eine steinerne Bank mit Blick auf den Garten. Es war heiß, die Luft stand still, das Sonnenlicht fiel auf das Blumenbeet, als besitze es ein gewaltiges, unsichtbares Gewicht. Sulean wartete, bis Mrs. Rebka begann. Sie hatte damit gerechnet, dass die Frau früher oder später einen derartigen Vorstoß machen würde – unter den Erwachsenen in der Gemeinschaft war sie für Isaac das, was einer Mutter am Nächsten kam, wenn auch Isaacs Natur jede emotionale Wärme, zumindest von seiner Seite, ausschloss.
»Er ist zuvor noch nie krank gewesen«, sagte Mrs. Rebka. »Kein einziges Mal. Aber seit Sie da sind… Er ist nicht mehr derselbe. Er wandert umher, isst kaum etwas. Seit einiger Zeit liest er wie wild. Zuerst habe ich das für eine erfreuliche Sache gehalten, aber inzwischen frage ich mich, ob es nicht nur ein weiteres Symptom ist.«
»Ein Symptom wofür?«
»Weichen Sie nicht aus.« Mrs. Rebka war eine stattliche Frau. Für Sulean waren alle Leute hier groß – sie selbst maß gerade eins sechzig –, doch Mrs. Rebka war besonders groß, und es schien in ihrer Absicht zu liegen, einschüchternd zu wirken. »Ich weiß, wer Sie sind. Wir alle hier sind uns seit Jahren über Sie im Klaren. Wir waren nicht überrascht, als Sie an unsere Tür klopften. Wir haben uns nur gewundert, dass es so lange gedauert hat. Wir haben nichts dagegen, dass Sie Isaac beobachten und sogar mit ihm kommunizieren. Die einzige Bedingung ist, dass Sie sich nicht einmischen.«
»Habe ich mich denn eingemischt?«
»Er hat sich verändert, seit Sie hier sind. Das können Sie nicht bestreiten.«
»Das hat nichts mit mir zu tun.«
»Nicht? Ich hoffe, dass Sie recht haben. Aber Sie haben so etwas schon einmal erlebt, nicht wahr? Bevor Sie zur Erde kamen.«
Sulean hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht. Ihre Geschichte hatte sich unter den terrestrischen Vierten verbreitet – vor allem unter jenen, die, wie Dvali, von den Hypothetischen besessen waren. Sie nickte.
»Bei einem Kind wie Isaac.«
»Ja, in mancher Hinsicht wie er. Ein Junge. Er war in Isaacs Alter, als er…«
»Als er starb.«
»Ja.«
»Ist er an seiner… Eigenheit gestorben?«
Sulean antwortete nicht gleich. Es widerstrebte ihr, diese Erinnerungen wachzurufen. »Er starb in der Wüste.« Einer anderen Wüste. Der marsianischen Wüste. »Er versuchte seinen Weg zu finden, aber er hat sich verirrt.« Sie schloss die Augen. Hinter ihren Lidern war die Welt, wegen des unerträglich hellen Sonnenlichts, eine unendliche Röte. »Wissen Sie, wenn ich gekonnt hätte, hätte ich Sie aufgehalten. Aber ich kam zu spät, Sie haben sich sehr schlau verborgen gehalten. Nun bin ich genauso hilflos wie Sie, Mrs. Rebka.«
»Ich werde nicht zulassen, dass Sie ihm wehtun.«
»Niemals würde ich etwas tun, was ihm Schaden zufügt.«
»Mag sein. Aber ich glaube, dass Sie, in gewisser Weise, Angst vor ihm haben.«
»Haben Sie mich denn so sehr missverstanden? Natürlich habe ich Angst vor ihm. Sie etwa nicht?«
Mrs. Rebka antwortete nicht. Sie stand auf und ging langsam zurück ins Gebäude.
Isaac musste den ganzen Tag in seinem Zimmer bleiben, das Fieber war auch am Abend noch nicht gesunken. In der Nacht lag Sulean wach, blickte durch die sandgepeitschte Fensterscheibe hinauf zu den Sternen.
Zu den Hypothetischen, um diesen wunderbar vieldeutigen Namen zu verwenden, der ihnen schon verliehen worden war, noch bevor ihre Existenz als gesicherte Tatsache galt: die hypothetischen Wesen, die die Erde in eine Zeitfalte eingeschlossen hatten, sodass eine Million Jahre vergehen konnten, während ein Mann seinen Hund ausführte oder eine Frau sich die Haare kämmte. Sie waren ein Netzwerk von selbstreproduzierenden, in der ganzen Galaxis verbreiteten Maschinen. Sie mischten sich in die menschlichen Angelegenheiten ein, womöglich auch in die Angelegenheiten anderer auf Intelligenz basierender Zivilisationen. Man verstand nicht, aus welchem Grund sie das machten. Vielleicht aus gar keinem besonderen Grund.
Sulean blickte zu ihnen. Sie durchdrangen den Nachthimmel. Sie schlossen Welten in
Weitere Kostenlose Bücher