Ayesha - Sie kehrt zurück
schnell und blitzartig, daß Leo und ich erst richtig begriffen, was vorgefallen war, als wir später unsere Eindrücke miteinander verglichen.
Als Ayesha an Atene vorbeischritt, riß diese in besinnungsloser Wut einen Dolch heraus, den sie in ihrem Kleid verborgen hatte, und schlug die scharfe Klinge mit aller Kraft in den Rücken ihrer Rivalin. Ich sah, wie sie bis zum Heft in Ayeshas Körper eindrang, jedenfalls glaubte ich es zu sehen, doch ist das unmöglich, da der Dolch klirrend zu Boden fiel und sie, die hätte tot umsinken müssen, völlig unverletzt blieb.
Außer sich über den Fehlschlag warf sich Atene auf Ayesha und versuchte, sie in den tief unter uns liegenden Krater zu stoßen. Doch ihre ausgestreckten Arme verfehlten Ayesha, obgleich diese sich nicht zu rühren schien. Atene war es, die fast in die Tiefe gestürzt wäre, die bereits vornüberfiel, doch Ayesha packte ihr Handgelenk und schwang sie zurück, so leicht, als ob sie nur ein kleines Kind wäre.
»Du Närrin«, sagte sie mitleidig. »Bist du so wütend, daß du den schönen Körper fortwerfen wolltest, den der Himmel dir geschenkt hat? Es wäre wirklich Irrsinn, Atene, denn kannst du wissen, in welcher Gestalt du wieder auf die Erde geschickt werden wirst? Vielleicht nicht wieder als Königin, sondern als das Kind eines Bauern, häßlich, gar verkrüppelt; denn solches ist die Strafe, wird gesagt, die einen Selbstmörder erwartet. Vielleicht kommst du sogar, wie manche es glauben, als Tier zurück: als Schlange, Katze, oder Tigerin! Sieh!« – und sie hob den Dolch vom Boden auf und schleuderte ihn in die Tiefe – »Die Spitze war in Gift getaucht. Wenn sie dich jetzt geritzt hätte!« Und sie lächelte und schüttelte den Kopf.
Atene konnte diesen Spott nicht länger ertragen, der giftiger war als ihre Klinge.
»Du bist keine Sterbliche«, jammerte sie. »Wie kann ich dich besiegen? Dem Himmel überlasse ich deine Bestrafung.« Und sie sank auf der Felsenplattform zusammen und schluchzte.
Leo stand in ihrer Nähe, und der Anblick dieser königlichen Frau in ihrem tiefen Leid war mehr, als er ertragen konnte. Er trat zu ihr, bückte sich und half ihr auf die Füße, wobei er ein paar tröstende Worte murmelte. Einen Augenblick lang stützte sie sich auf seinen Arm, dann schüttelte sie ihn ab und ergriff die Hand ihres Onkels Simbri, die dieser ihr entgegenstreckte.
»Ich sehe«, sagte Ayesha, »daß du noch immer galant und hilfsbereit bist, mein Lord Leo; aber es ist besser, wenn ihr eigener Diener sich um sie kümmert – sie mag noch mehr Dolche versteckt halten. Komm, die Sonne steht schon hoch am Himmel, und wir brauchen Ruhe!«
17
Die Verlobung
Gemeinsam stiegen wir die sechshundert Stufen hinab und gingen durch die endlosen, in den Fels getriebenen Gänge, bis wir die Tür erreichten, die zu den Räumen der Hohepriesterin führte, und dort in eine Halle geführt wurden. Hier trennte sich Ayesha von uns und sagte, daß sie sehr erschöpft sei und so sah sie auch aus, nicht körperlich erschöpft, sondern seelisch mitgenommen. Ihr zarter Körper war gebeugt wie eine Lilie im Regen, ihre Augen blickten trüb, als ob sie sich in Trance befände, und ihre Stimme war ein sanftes, süßes Flüstern, als ob sie im Schlaf spräche.
»Auf bald«, sagte sie zu uns. »Oros wird euch beide bewachen und zur festgesetzten Stunde wieder zu mir bringen. Schlaft wohl!«
Sie ging fort, und der Priester führte uns zu einem wunderbar ausgestatteten Appartement, vor dessen Fenstern ein Garten lag. Wir waren so überwältigt von allem, was wir gesehen und erlebt hatten, daß wir kaum sprechen konnten, und schon gar nicht in der Lage waren, die wunderbaren Ereignisse zu diskutieren.
»Mein Verstand ist völlig durcheinander«, sagte Leo zu Oros. »Ich möchte schlafen.«
Oros verneigte sich und führte uns in eine Kammer, in der mehrere Betten standen. Ohne uns auszuziehen warfen wir uns auf die weichen Kissen und schliefen sofort ein.
Als wir erwachten, war es Nachmittag. Wir standen auf, badeten, sagten Oros, daß wir eine Weile allein zu sein wünschten und gingen in den Garten, wo selbst in dieser Höhe die Luft angenehm mild war. Hinter einem Felsen, auf dem Bergblumen und Farne wuchsen, stand eine Bank, und wir setzten uns.
»Was hast du mir zu sagen, Horace?« fragte Leo und legte seine Hand auf meinen Arm.
»Was soll ich dir zu sagen haben?« antwortete ich verwundert. »Es ist doch alles wunderbar ausgegangen. Unsere
Weitere Kostenlose Bücher