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Ayesha - Sie kehrt zurück

Ayesha - Sie kehrt zurück

Titel: Ayesha - Sie kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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der ungeachtet der seltsamen Verstrickungen seines Lebens tief in den religiösen Prinzipien verwurzelt war, die ich ihn gelehrt hatte, weigerte sich, auch nur einen Schritt zu gehen, bevor man ihm Sinn und Ablauf der bevorstehenden Zeremonie erklärt hätte. Oros, an den er diese Forderung mit allem Nachdruck gerichtet hatte, schien im ersten Augenblick nicht zu wissen, was er tun sollte, erklärte dann jedoch, daß es sich bei der anstehenden Zeremonie um eine Verlobung handele.
    Als Leo das erfuhr, hatte er keine weiteren Einwände mehr, sondern erkundigte sich nur ein wenig nervös, ob die Khania dabei anwesend sein würde.
    Oros sagte ihm, daß die Khania bereits nach Kaloon abgereist sei und Ayesha Rache und Krieg geschworen habe.
    Dann wurden wir durch lange Gänge geführt, bis wir schließlich die zweiflügelige Holztür erreichten, die direkt in die Apsis führte. Als wir uns ihr näherten, schwangen die Flügel zurück, und wir traten ein. Oros schritt voran, gefolgt von Leo; ich ging hinter Leo, und zuletzt kam unsere Priester-Eskorte.
    Sobald sich unsere Augen an die strahlende Helligkeit der Flammen-Säulen gewöhnt hatten, sahen wir, daß eine große Zeremonie vorbereitet worden war, denn vor dem riesigen Altar mit der göttlichen Statue der Mutter standen mehrere Reihen von Priestern, etwa zweihundert, schätzte ich, und hinter ihnen die Priesterinnen. Vor ihnen, ein wenig außerhalb der Linie, die von den beiden den Altar flankierenden Feuersäulen gebildet wurde, saß Ayesha auf einem kleinen Podest, so daß sie von allen gesehen werden konnte. Neben ihrem Sessel stand ein zweiter gleichen Aussehens, dessen Zweck ich leicht erraten konnte.
    Sie war unverschleiert und prächtig gekleidet; doch abgesehen von dem vorherrschenden Weiß waren ihre Kleider eher die einer Königin als die einer Priesterin. Um ihren Kopf lag ein goldener Reif, aus dem der Kopf einer Natter wuchs, der aus einem einzigen, rotschimmernden Edelstein geschnitten war. Unter diesem goldenen Reif floß ihr blauschwarzes Haar über Schultern und Brust und bedeckte sogar die Falten ihres Purpurmantels.
    Dieser Mantel, der nicht geschlossen war, ließ eine Tunika aus weißer Seide erkennen, die von einem goldenen Gürtel zusammengehalten wurde. Seine Schnalle hatte die Form einer doppelköpfigen Schlange, und der Gürtel glich so völlig dem, den Sie in Kôr getragen hatte, daß er mit ihm identisch sein mußte. Ihre unbedeckten Arme waren ohne jeden Schmuck, und in ihrer rechten Hand hielt sie das juwelenbesetzte Sistrum.
    Keine Kaiserin konnte majestätischer, keine Frau nur halb so schön sein, denn zu Ayeshas menschlicher Schönheit kam noch die überirdische. Als wir ihrer ansichtig wurden, konnten wir unsere Blicke nicht mehr von ihr wenden. Die rhythmischen Bewegungen der Priester, die harmonischen Klänge ihres Gesanges, dessen Echo von den hohen Wänden zurückgeworfen wurde, die Feuersäulen – für dies alles hatten wir weder Augen noch Ohren. Denn dort, wiedergeboren, inthronisiert, die Arme zu einem herzlichen Willkommen ausgebreitet, saß die vollkommene und unsterbliche Frau, für einen von uns die ihm vorbestimmte Braut, für den anderen die Freundin und Herrin, und ihre göttliche Gestalt atmete Macht, Mysterium und Liebe.
    Wir schritten zwischen den Reihen der Hierophanten entlang, und als wir das kleine Podest erreicht hatten, verließen uns Oros und die anderen Priester, und wir standen allein vor Ayesha. Nun hob sie ihr Zepter, und der Gesang der Priester und Priesterinnen verstummte. In der nun folgenden Stille erhob sie sich, schritt die Stufen des Podests herab und trat auf Leo zu. Sie berührte seine Stirn mit dem Sistrum und rief mit lauter Stimme:
    »Seht den Erwählten der Hesea!«
    Worauf alle Anwesenden in den Ruf ausbrachen: »Willkommen sei der Erwählte der Hesea!«
    Während das Echo dieses vielhundertstimmigen Rufes noch von den Wänden widerhallte, winkte mir Ayesha, an ihre Seite zu treten, nahm Leo bei der Hand und trat mit ihm vor die Versammlung der Priester und Priesterinnen in ihren weißen Roben. Sie hielt Leos Hand in der ihren und sagte mit ihrer klaren, hellen Stimme:
    »Priester und Priesterinnen der Hes, Diener der Mutter dieser Welt, hört mich an! Zum ersten Mal trete ich vor euch hin, so wie ich wirklich bin, nachdem ihr mich bisher nur als eine verhüllte Gestalt gekannt habt, deren Aussehen auch unbekannt blieb. Erfahrt jetzt den Grund dafür, weshalb ich mich hinter Schleiern

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