Ayesha - Sie kehrt zurück
Wiederholung der Geschichte.«
»Also warst du selbst unser Führer«, sagte Leo und blickte sie scharf an.
»Ja, Leo, wer sonst? Doch es war kein sehr gutes Gefühl, in diesem Todesgewand vor dir zu stehen, der mich nicht erkannte. Ich hatte mir ursprünglich vorgenommen, im Tempel auf dich zu warten, doch als ich erfuhr, daß ihr Atene entkommen wart und euch dem Berg nähertet, konnte ich mich nicht mehr länger beherrschen und kam euch so entsetzlich verhüllt entgegen. Ja, schon am Flußufer war ich bei euch, und obwohl ihr mich nicht gesehen habt, habe ich euch vor Gefahren beschützt.
Leo, ich sehnte mich so danach, dich anzusehen und mich zu vergewissern, daß dein Herz sich nicht verändert hatte, wenngleich du bis zur vorbestimmten Stunde weder mein Gesicht sehen, noch meine Stimme hören durftest, da dir noch eine schwere Prüfung deiner Liebe und Treue auferlegt worden war. Bei Holly wollte ich außerdem feststellen, ob es seiner Weisheit gelänge, meine Verkleidung zu durchschauen, oder wie nahe er der Wahrheit kommen würde. Aus diesem Grund ließ ich es zu, daß er mich beobachtete, als ich die Haarsträhne aus deiner Ledertasche zog, Leo, daß er mich vor dir weinen sah, als ihr in jenem Gästehaus schlieft. Nun, er hat nicht schlecht geraten, du aber, mein Leo, hast mich erkannt – im Schlaf – so wie ich war, und nicht, wie ich auszusehen schien. Ja«, fügte sie mit leiser, sanfter Stimme hinzu, »und du hast mir Worte gesagt, die ich nie vergessen werde.«
»Hinter den Schleiern verbarg sich also dein süßes Gesicht?« fragte Leo, der sich in diesem Punkt noch immer nicht sicher war, »dasselbe, liebliche Gesicht, daß ich jetzt vor mir sehe?«
»Vielleicht – wenn du so willst«, sagte sie vage, und etwas abweisend, »aber es kommt schließlich auf die Seele an, nicht auf die äußere Hülle, obwohl Männer in ihrer Blindheit es anders sehen. Vielleicht ist mein Gesicht immer so, wie dein Herz es formt, oder wie mein Wille es den Augen und der Vorstellung derer erscheinen läßt, die es ansehen. – Doch hört! Die Vorhut ist auf den Feind gestoßen!«
Als Ayesha dies sagte, trug der Wind entferntes Rufen und Schreien zu uns herüber, und kurz darauf sahen wir eine Gruppe von Reitern, die sich langsam zur vordersten Linie unserer Hauptmacht zurückzogen. Sie kamen jedoch nur, um zu melden, daß die Vorhuten der Atene vor ihnen flohen. Ein Gefangener, den sie mitgebracht hatten, bestätigte diese Meldung und sagte bei seinem Verhör durch die Priester aus, daß die Khania nicht die Absicht habe, sich uns auf dem Berg zum Kampf zu stellen. Nach ihrem Willen sollte die Schlacht auf dem jenseitigen Ufer des Flusses geschlagen werden, der eine natürliche Verteidigungslinie bildete, die wir überwinden mußten, eine Entscheidung, die strategisches Geschick verriet.
So geschah es, daß es an diesem Tag nicht zum Kampf kam.
Den ganzen Nachmittag über ritten wir den Berghang hinab, und wir kamen weitaus rascher voran, als Leo und ich damals bei unserem Aufstieg, nach der Flucht aus der Stadt Kaloon. Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir das vorbereitete Lager, eine weite, leicht abfallende Ebene, die von der Schlucht der Gebeine abgeschlossen wurde, in der wir damals unseren geheimnisvollen Führer getroffen hatten. Wir gelangten jedoch nicht durch die geheimen Tunnel an diesen Ort, durch die Ayesha uns damals geführt hatte, und durch die man sich einen Umweg von mehreren Meilen ersparte, wie sie uns jetzt erklärte, da sie für den Durchzug einer ganzen Armee zu eng waren.
Wir bogen nach links ab und wichen einer Zahl von Bergrücken aus, durch welche dieser Tunnel verlief, und gelangten so auf den Hang vor der dunklen Schlucht, wo wir vor Überraschungsangriffen sicher schlafen konnten.
Für Ayesha war ein Zelt aufgeschlagen worden, doch da es das einzige war, biwakierten Leo und ich mit den Männern unserer Leibwache einige hundert Meter von ihm entfernt. Ayesha wurde sehr wütend, als sie entdeckte, daß für Leo und mich keine Vorsorge getroffen worden war, und machte dem Häuptling, der für die Versorgung zuständig war, heftige Vorwürfe, obwohl dieser Mann für die Zelte nicht zuständig war.
Auch Oros wurde Opfer ihres Zorns, und er entschuldigte sich mit vielen Verneigungen für das Versäumnis; er habe angenommen, daß wir an Krieg und die Härte des Lebens gewöhnt seien.
Am meisten verärgert war sie jedoch mit sich selbst, da sie vergessen hatte, entsprechende
Weitere Kostenlose Bücher