Ayesha - Sie kehrt zurück
befleckt werden, ihre sündige Seele wird durch Trennung und Tod gereinigt werden. Bruder Leo, wenn du sie für dich gewinnst, so nur, um sie erneut zu verlieren, und dann mußt du die Leiter erneut erklimmen. Bruder Holly, für dich wie für mich ist der Verlust der einzige Gewinn, da wir durch ihn vor großem Leid bewahrt werden. Oh, bleibt hier und betet mit mir. Warum wollt ihr mit den Köpfen gegen einen Fels rennen? Warum müht ihr euch ab, Wasser in einen zerbrochenen Krug zu gießen, durch den es im Sand einer sinnlosen Erfahrung versickert und verschwendet wird, während ihr durstig bleibt?«
»Wasser macht den Boden fruchtbar«, antwortete ich. »Wo Wasser ist, sprießt Leben, und das Leid ist die Saat der Freude.«
»Die Liebe ist das Gesetz des Lebens«, setzte Leo hinzu; »ohne Liebe gäbe es kein Leben. Ich suche Liebe, damit ich leben kann. Ich glaube, daß all diese Dinge uns vorbestimmt sind, um uns zu einem Ziel zu führen, das wir nicht kennen. Das Schicksal zieht mich hinan – ich erfülle mein Schicksal ...«
»Und verzögerst dadurch, deine Freiheit zu erlangen. Aber ich will mich nicht mit dir streiten, Bruder, der du deinen eigenen Weg finden mußt. Doch überlege einmal: Was hat diese Frau, diese Priesterin eines falschen Glaubens, falls sie das noch immer sein sollte, dir in der Vergangenheit gebracht? Einst, in einem anderen Leben – so verstehe ich jedenfalls deine Geschichte –, warst du einer gewissen Göttin der Natur verschworen, die Isis hieß; war es nicht so? Dann hat dich eine andere Frau in Versuchung geführt, und du bist mit ihr geflohen. Und was geschah? Die betrogene, rachsüchtige Göttin hat dich gefunden und erschlagen, und wenn nicht die Göttin, so eine, die von ihrer Weisheit getrunken hatte und das Instrument ihrer Rache war. Nachdem sie von der Weisheit der Göttin getrunken hatte, weigerte sie sich, zu sterben, weil sie dich lieben gelernt hatte und auf deine Wiedergeburt wartete, weil sie wußte, daß sie dich in deinem nächsten Leben wiederfinden würde. Und sie hat dich gefunden, und sie starb, oder schien zu sterben, und nun ist sie wiedergeboren worden, wie es ihr vorbestimmt war, und ihr werdet euch wiedertreffen und erneut ins Leid gestürzt werden. Oh, meine Freunde, geht nicht auf die andere Seite der Berge; bleibt bei mir und beklagt eure Sünden!«
»Nein«, antwortete Leo, »wir sind unserem Ziel verschworen, und wir werden unser Wort nicht brechen.«
»Dann, meine Brüder, macht euch auf den Weg, doch wenn ihr euer Ziel erreicht habt, denkt an meine Worte, denn ich bin sicher, wenn es zur Ernte kommt und ihr den Wein von der Lese eurer Wünsche keltert, er rot wie Blut rinnen wird, und daß ihr beim Trinken dieses Weins weder Vergessen noch Frieden finden werdet. Geblendet von einer Leidenschaft, deren Macht mir sehr wohl bekannt ist, sucht ihr ein Übel mit einem hübschen Gesicht, um eure Leben mit ihm zu vereinigen und glaubt, daß aus dieser Verbindung alles Wissen und alle Freude wachsen werden.
Ihr solltet danach streben, allein zu leben und die Heiligkeit zu suchen, bis eure Leben dereinst mit dem Großen Unsagbaren vereinigt sein werden und ihr die ewige Seligkeit findet, die im Nichts liegt. Ah! Ich weiß, daß ihr mir jetzt nicht glaubt; ihr schüttelt den Kopf und lächelt; doch eines Tages – vielleicht erst nach vielen, vielen Reinkarnationen – werdet ihr ihn beugen und weinen und mir sagen: ›Bruder Kou-en, du hast Worte der Weisheit gesprochen, wir haben wie Narren gehandelt.‹« Mit einem schweren Seufzer wandte der alte Mann sich um und ließ uns allein.
»Ein sehr fröhlicher Glaube«, sagte Leo, als er ihm nachblickte, »wenn man durch Äonen monotoner Misere leben muß, damit das Bewußtsein schließlich von einer leeren, formlosen Abstraktion geschluckt werde, die der ›Letzte Friede‹ genannt wird. Ich ziehe es jedenfalls vor, meinen Teil einer häßlichen Welt in Kauf zu nehmen und meine Hoffnung auf den Wechsel zum Besseren zu bewahren. Und ich glaube auch nicht, daß er irgend etwas über Ayesha und ihre Bestimmung weiß.«
»Ich auch nicht«, antwortete ich, »aber vielleicht hat er doch recht. Wer kann das wissen? Doch welchen Sinn hat es, darüber nachzugrübeln? Wir haben keine Wahl, Leo: Wir müssen unserem Schicksal folgen. Wohin uns dieses Schicksal führt, werden wir erfahren, wenn die Zeit dazu gekommen ist.«
Wir gingen schlafen. Es war spät geworden, doch ich fand in dieser Nacht keine Ruhe. Die
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