Ayesha - Sie kehrt zurück
wie durch einen dicken Nebelschleier wahr. Eine wunderbare Wärme breitete sich in meinem Körper aus, mein schmerzender Kopf wurde leicht, und dann sank ich in ein wohliges, weiches Dunkel.
Wir waren sehr schwer krank. Die genaue medizinische Bezeichnung unserer Krankheit weiß ich nicht, doch es war ein Zustand, wie er von großem Blutverlust, völliger körperlicher Erschöpfung, paralysierender Nervenbelastung und unzählige Wunden und Blutergüsse hervorgerufen wird. Alle diese Belastungen verursachten eine längere Periode des halb bewußtlosen Dahindämmerns, die von einer Phase des Fiebers und des Halluzinierens gefolgt wurde. Alles, das mir aus jener Zeit im Haus des ›Wächters des Tores‹ in Erinnerung geblieben ist, kann in ein Wort zusammengefaßt werden: Träume.
Die Träume selbst habe ich vergessen, und das ist vielleicht gut so, da sie ziemlich verwirrt und konfus waren, und zum größten Teil unangenehm: ein Tohuwabohu von Alpträumen, die zweifellos ihren Ursprung in den lebhaften Erinnerungen an unsere letzten, gefährlichen Erlebnisse hatten. Hin und wieder war ich ein wenig bei Bewußtsein, wahrscheinlich, wenn mir Nahrung eingeflößt wurde, und nahm dann vage ein wenig von dem wahr, was um mich herum geschah. So erinnere ich mich, daß der gelbgesichtige, alte Wächter über mich gebeugt stand, wie ein Geist im fahlen Licht des Mondes, seinen langen, dünnen Bart strich und auf mich herabstarrte, als ob er die Geheimnisse meiner Seele erforschen wollte.
»Es sind die Männer«, murmelte er im Selbstgespräch, »ja, ohne Zweifel, es sind die Männer.« Dann richtete er sich auf, trat zum Fenster und blickte lange hinaus, wie jemand, der die Sterne studiert.
Danach, erinnere ich mich, nahm ich irgendeine Veränderung der Atmosphäre wahr, eine dominierende Präsenz, hörte den Klang einer Frauenstimme und das Rascheln von Seide. Ich öffnete die Augen und sah, daß es die Frau war, die geholfen hatte, uns zu retten, die uns gerettet hatte , genau genommen; eine hochgewachsene, adelig wirkende Lady mit einem wunderbaren, seltsam müde wirkenden Gesicht, und Augen, in denen ein Feuer zu brennen schien. Aus dem schweren Umhang, den sie trug, schloß ich, daß sie von einer Reise zurückgekehrt sein mußte.
Sie stand vor meinem Bett und blickte auf mich herab, dann wandte sie sich mit einer gleichgültigen Geste von mir ab und sagte mit leiser Stimme ein paar Worte zu dem alten Wächter. Anstelle einer Antwort verbeugte er sich und deutete auf das Bett, in dem Leo schlief. Mit langsamen, majestätischen Schritten trat sie darauf zu. Ich sah, wie sie sich über Leo beugte und vorsichtig ein Stück des Verbandes zur Seite schob, mit dem sein verletzter Kopf umwickelt war, und glaubte, sie ein paar leise Worte murmeln zu hören, bevor sie sich wieder dem Wächter zuwandte, als ob sie ihm weitere Fragen stellen wolle.
Doch er war gegangen, und da sie sich allein glaubte – denn sie hielt mich für bewußtlos –, zog sie einen Hocker zu Leos Bett, setzte sich und sah ihn mit einem so ernsten Gesichtsausdruck an, daß ich einen Angstschauer auf meinem Rücken spürte, denn ihre ganze Seele schien sich in ihren Augen zu konzentrieren und durch sie Ausdruck zu finden. Lange blickte sie so in Leos Gesicht; dann erhob sie sich und begann im Raum auf und ab zu gehen, wobei sie die Hände abwechselnd an ihren Busen und an ihre Stirn preßte. In ihrem Gesicht stand ein Ausdruck leidenschaftlicher Verwirrung als ob sie verzweifelt versuchte, sich an etwas zu erinnern, und es ihr nicht gelänge.
»Wann und wo?« flüsterte sie. »Oh! Wann und wo?«
Von dem Ende jener Szene weiß ich nichts, denn obwohl ich mich mit aller Kraft dagegen wehrte, sank ich in Bewußtlosigkeit zurück. In der Folgezeit erkannte ich, daß die königlich wirkende Frau, die Khania hieß, ständig im Zimmer war und sich mit viel Mühe und Zärtlichkeit um Leo kümmerte. Hin und wieder – wenn sie nichts anderes zu tun hatte, jedenfalls schien ihre Haltung das auszudrücken – sah sie auch nach mir. Es war, als ob ich ihre Neugier hervorgerufen hätte und sie meine Genesung wünschte, um sie zu befriedigen.
Wieder erwachte ich, wieviel später, kann ich nicht sagen: Es war Nacht, und der Raum wurde nur vom Licht des Mondes erhellt, der jetzt an einem klaren, wolkenlosen Himmel hing. Das fahle Mondlicht fiel durch das Fenster auf Leos Bett, und ich sah, daß die majestätisch aussehende Frau wieder an seiner Seite saß.
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