Ayesha - Sie kehrt zurück
jedoch kleiner war, und dort legten sie mich auf ein Bett.
Der Wächter blickte mich eine Weile an, um zu prüfen, ob ich erwacht wäre. Dann beugte er sich über mich und fühlte meinen Herzschlag und meinen Puls; eine Untersuchung, deren Ergebnisse ihn zu überraschen schienen, denn er murmelte etwas vor sich hin und schüttelte den Kopf. Danach verließ er den Raum, und ich hörte, daß er die Tür hinter sich zuriegelte. Kurz darauf schlief ich wieder ein.
Als ich erwachte, war es heller Tag. Mein Kopf war klar, und ich fühlte mich besser als seit vielen Tagen, ein Zeichen dafür, daß das Fieber abgeklungen war und ich mich auf dem Weg der Besserung befand. Jetzt erinnerte ich mich an alle Ereignisse der vergangenen Nacht und war in der Lage, sie sorgfältig abzuwägen. Das tat ich aus mehreren Gründen, vor allem jedoch aus der Erkenntnis, daß ich mich in großer Gefahr befunden hatte – und noch befand.
Ich hatte zuviel gesehen und gehört; und diese Frau, die Khania genannt wurde, ahnte, daß ich es gesehen und gehört hatte. Wenn ich nicht diese Bemerkungen über das Symbol des Lebens und den Berg der Flammen gemacht hätte, nachdem ich ihren ersten Zorn durch meine List entschärfen konnte, hätte sie den Schamanen – dessen war ich völlig sicher – aufgefordert, mich auf die eine oder andere Art zu beseitigen; und ich war genauso sicher, daß er nicht eine Sekunde lang gezögert hätte, ihr zu gehorchen. Ich war einerseits vielleicht nur deshalb verschont worden, weil sie sich aus einem mir unbekannten Grund fürchtete, mich zu töten, und zum anderen, damit sie erfahren konnte, wieviel ich wußte, obwohl die ›Hunde des Todes gebellt hatten‹, was immer das bedeuten mochte. Nun, für den Augenblick war ich sicher, und was die Zukunft bringen würde, blieb abzuwarten. Ich mußte von jetzt an sehr, sehr vorsichtig sein und notgedrungen so tun, als ob ich von nichts wüßte. Nachdem ich die Probleme meines eigenen Schicksals durchdacht hatte, verdrängte ich sie aus meinem Gehirn und beschäftigte mich mit der Szene, die ich beobachtet hatte, und versuchte, ihre Bedeutung zu erkennen.
War unsere Suche zu Ende? Hatten wir unser Ziel erreicht? War diese Frau Ayesha? Leo hatte es so geträumt, doch er lag noch im Delirium, und deshalb war seine Reaktion unzuverlässig. Wichtiger erschien mir, daß sie offenbar der Überzeugung war, es müsse irgendeine Verbindung zwischen ihr und dem Kranken geben. Warum hatte sie ihn geküßt? Ich war sicher, daß sie es nicht leichtfertig getan hatte; keine Frau würde sich aus einer bloßen Laune heraus an einen Fremden hängen, der zwischen Leben und Tod schwebte. Was sie getan hatte, war aus einem unwiderstehlichen Impuls heraus geschehen, einem Impuls, der aus Wissen, oder zumindest aus Erinnerungen geboren worden war, obwohl das Wissen wahrscheinlich vage war, die Erinnerungen unsicher. Wer außer Ayesha konnte etwas von Leo und seiner Vergangenheit wissen? Niemand, der heute auf dieser Erde lebte.
Aber warum nicht, wenn das, was der Abt Kou-en und Millionen anderer Anhänger dieser Religion glaubten, richtig war? Wenn die Zahl menschlicher Seelen streng limitiert war und sie in ständigem Wechsel von einem Körper zum anderen übergingen, die sie von Zeit zu Zeit wechselten, so wie wir unsere abgetragene Kleidung ablegen und neue anziehen, warum sollten ihn nicht auch andere gekannt haben? Zum Beispiel wie jene Tochter des Pharao, die ihn ›durch ihre Liebe dazu brachte, seine Eide zu brechen‹, Kallikrates gekannt hatte, den Priester der ›Isis, die die Götter verehren, und der die Dämonen gehorchen‹; selbst Amenartas, die Herrin der Magie?
Oh! Ich begann Licht zu sehen, ein wunderbares Licht. Was war, wenn Amenartas und diese Khania, diese Frau, deren Gesten, deren ganze Erscheinung das Siegel des Majestätischen trugen, dieselben sein sollten? Würde dann nicht ›die Magie meines eigenen Volkes, die ich besitze‹, wie sie es auf eine Tonscherbe schrieb, es ihr ermöglichen, das Dunkel der Vergangenheit zu durchstoßen und den Priester zu erkennen, den sie durch ihre Zauberkraft dazu verführt hatte, sie zu lieben; den sie der Göttin selbst entrissen hatte? Was war, wenn nicht Ayesha, sondern die Reinkarnation von Amenartas dieses verborgene Land beherrschte und sie noch einmal versuchte, den Mann, den sie liebte, zum Bruch seines Eides zu verleiten? Wenn dem so sein sollte, so machte mich selbst der Gedanke an die Konsequenzen schaudern.
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