Ayesha - Sie kehrt zurück
du Asyl im Tod suchen?« fragte sie mit düsterer Miene. »Eins müßt ihr wissen, meine Gäste: niemals, solange ich lebe, werdet ihr den Fuß auf das andere Ufer des Flusses setzen, der unterhalb jenes Berges fließt.«
»Und warum nicht, Khania?«
»Weil, mein Lord Leo, das mein Wille ist. Und wo ich herrsche, ist mein Wille Gesetz. Kommt, laß uns nach Hause zurückkehren!«
An diesem Abend speisten wir nicht in der großen Halle, sondern in unserem geräumigen Wohnzimmer. Wir waren jedoch dabei nicht allein, denn Khania und ihr Onkel, der Schamane, der immer bei ihr war, aßen mit uns. Als wir sie ein wenig erstaunt begrüßten, erklärte sie nur kurz, daß sie es so arrangiert habe, da sie uns nicht weiteren Beleidigungen auszusetzen gedenke. Sie fügte hinzu, daß an diesem Tag eine Feier begonnen habe, die eine Woche dauern würde, und daß sie uns den Anblick von Trunkenheit und Zügellosigkeit ersparen wolle.
Der Abend – und viele andere, die folgten, denn wir aßen nie wieder in der großen Halle – verlief sehr angenehm. Die Khania forderte Leo auf, ihr von England zu berichten, und von den Ländern, die er besucht hatte, von ihren Menschen und Bräuchen. Ich erzählte ihr von Alexander dem Großen, dessen General Rassen, ihr Urahne, das Land Kaloon erobert hatte, und von Ägypten, das seine Heimat gewesen war. So vergingen die Stunden bis Mitternacht, und Atene hörte uns begierig zu, ihren Blick jedoch immer auf Leo gerichtet.
Auf diese Weise verbrachten wir viele Abende im Palast der Stadt Kaloon, in der wir de facto Gefangene waren. Doch die Tage wurden uns immer länger. Wenn wir den Palasthof oder einen der Empfangsräume betraten, wurden wir sofort von den Lords und ihrem Anhang bedrängt, die uns alle möglichen Fragen stellten. Denn da sie nichts zu tun hatten, langweilten sie sich entsprechend.
Und auch die Frauen, von denen einige recht hübsch waren, begannen, uns unter irgendwelchen Vorwänden anzusprechen und interessierten sich vor allem für Leo. Der große, kräftige, blondmähnige Leo war für sie, die ihre kleinen, fast schmächtigen Männer gewöhnt waren, eine exotische Abwechslung. Sie bedrängten ihn so heftig mit Blumen, Geschenken und oft sehr eindeutigen Einladungen, die sie durch Diener oder Soldaten zustellen ließen, daß er sich kaum zu retten wußte.
Wenn wir auf die Straßen hinaustraten, war es genauso unerträglich, denn die Leute unterbrachen ihre Beschäftigung, folgten uns und gafften uns an, bis wir wieder Zuflucht in den Palastgärten suchten.
Also blieben uns nur unsere Ausritte mit der Khania, doch nach drei oder vier solcher Touren wurden ihnen durch die Eifersucht des Khans ein Ende gesetzt, der schwor, uns mit seinen Hunden des Todes zu hetzen, sollten wir es wagen, noch einmal mit seiner Frau auszureiten. Also waren wir auf uns selbst angewiesen, aber wir waren nicht allein. Wenn wir die Stadt verließen, ob zu Pferde oder zu Fuß, waren wir stets von einer starken Eskorte umgeben, die dafür sorgen sollte, daß wir nicht zu fliehen versuchten, und oft lief uns auch noch ein Mob von Bauern nach, die uns durch Drohungen und Bitten aufforderten, den Regen zurückzubringen, den wir ihnen ihrer Meinung nach gestohlen hatten. Denn inzwischen hatte eine schreckliche Dürre begonnen.
So fanden wir schließlich die einzige Abwechslung darin, am Ufer des Flusses zu sitzen und eine Angel ins Wasser zu halten. Das Wasser war jetzt so seicht, daß sich fast alle Fischer flußabwärts verzogen hatten, wo es noch tiefer war. Wir hielten lustlos die Angeln in den Fluß, starrten zu dem Feuerberg hinüber, der geheimnisvoll und unerreichbar in der Ferne aufragte, und zermarterten uns vergeblich den Kopf nach einer Möglichkeit, von hier zu entkommen, oder uns zumindest mit der Priesterin des Berges in Verbindung setzen zu können, über die wir nichts mehr in Erfahrung bringen konnten.
Zwei Lasten beschwerten unsere Seelen: die Last der Begierde, unsere Suche fortzusetzen und endlich den Lohn für alle Mühen zu erhalten, den wir, dessen waren wir sicher, dort auf dem Berggipfel finden würden; und die Last des Wissens um eine sich unaufhaltsam nähernde Katastrophe durch Khania Atene. Sie hatte seit jener Nacht im Torhaus nicht mehr mit Leo allein gesprochen, und es wäre ihr auch so gut wie unmöglich gewesen, selbst, wenn sie es gewollt hätte, denn ich ließ ihn nicht eine Stunde lang allein. Keine Duenna konnte ihre spanische Dame strenger bewachen als
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