Ayesha - Sie kehrt zurück
das du bestimmt hast. Ja, ich soll tun, was du dich selbst zu tun scheust, und ihn töten. Und auch deine Erzählung von einer Vision, die dich zum Fluß geführt haben soll, ist eine Lüge. Lady, du hast mich in der Schlucht erwartet, weil Hesea, der Geist des Berges, es dir befohlen hat.«
»Woher weißt du das?« fragte Atene tonlos und starrte ihn an, und der alte Schamane blinzelte erregt.
»Aus der gleichen Quelle, aus der ich noch vieles andere erfahren habe. Lady, es wäre besser gewesen, wenn du mir die ganze Wahrheit gesagt hättest.«
Jetzt wurde Atenes Gesicht bleich, und ihre Wangen sanken ein.
»Wer hat es dir gesagt?« flüsterte sie. »Warst du es, Schamane?« Und sie wandte sich ihrem Onkel zu wie eine Schlange, die zustoßen will. »Oh! Wenn dem so ist, werde ich es erfahren, und auch wenn wir desselben Blutes sind und einander geliebt haben, sollst du dafür büßen!«
»Atene, Atene«, sagte Simbri und hob seine krallenartigen Hände, »du weißt, daß nicht ich es war.«
»Dann warst du es, du affengesichtiger Wanderer!« fuhr sie mich an. »Oh! Warum habe ich dich nicht gleich getötet? Doch das ist ein Fehler, der sich korrigieren läßt.«
»Lady«, sagte ich ruhig. »Bin ich also auch ein Zauberer?«
»Ja, das glaube ich«, antwortete sie, »und daß du eine Herrin hast, die im Feuer wohnt.«
»Dann, Khania«, sagte ich, »sollte man sich vor solchen Dienern und solcher Herrinnen in acht nehmen. Sage, welche Antwort hat die Hesea dir auf deinen Bericht über unsere Ankunft geschickt?«
»Hör mir zu!« unterbrach Leo, bevor sie meine Frage beantworten konnte. »Ich werde dem Orakel auf jenem Berg eine bestimmte Frage stellen. Mit deiner Erlaubnis oder gegen deinen Willen, ich werde zum Berg gehen. Später könnt ihr dann entscheiden, wer von euch stärker ist – die Khania von Kaloon oder die Hesea des Feuerhauses.«
Atene stand eine Weile schweigend, vielleicht weil sie nicht wußte, was sie darauf erwidern sollte. Dann stieß sie ein kurzes Lachen aus und hob den Kopf.
»Ist das dein Wille? Nun, ich glaube nicht, daß es dort irgendeine gibt, die du heiraten willst. Es gibt Feuer, und im Überfluß, doch keine hübschen, verführerischen Geister, die einen Mann zu schamlosen Begierden treiben könnten. Wanderer, dieses Land hat seine Geheimnisse, die kein Fremder lüften darf. Ich wiederhole noch einmal: solange ich lebe, werdet ihr euren Fuß nicht auf jenen Berg setzen. Und du, Leo Vincey, sollst wissen: ich habe vor dir mein Herz entblößt, und du hast mir gesagt, daß deine lange Suche nicht mir gilt, wie ich in meiner Torheit gehofft hatte, sondern, wie ich glaube, einem Dämon, der die Gestalt einer Frau angenommen hat, und den du niemals finden wirst. Ich werde dich nun nicht mehr bitten, das wäre würdelos; doch du hast zuviel erfahren.
Darum überlege es dir gut heute nacht, was du mir sagen wirst, wenn ich morgen vor Sonnenuntergang deine Antwort verlange. Von dem, was ich dir angeboten habe, nehme ich nichts zurück, und morgen wirst du mir sagen, ob du mich nehmen wirst, wenn die Zeit dazu kommt, wie sie kommen muß, um dieses Land zu beherrschen und in meiner Liebe glücklich zu sein, oder ob du und dein Freund – sterben werdet. Wähle also zwischen der Rache Atenes und ihrer Liebe, da ich keine Lust habe, in meinem eigenen Land belächelt und verspottet zu werden als eine leichtfertige Frau, die einem Fremden ihre Liebe anbot – und zurückgewiesen wurde.«
Langsam, ruhig, und mit einer intensiv leisen Stimme sprach sie diese Worte, die von ihren Lippen tropften wie Blut aus einer tödlichen Wunde, und als sie ausgesprochen hatte, herrschte Schweigen. Niemals werde ich die Szene vergessen. Dort saß der alte Schamane und blickte uns mit seinen trüben Augen an, die blinzelten wie die eines Nachtvogels. Dort stand die königliche Frau, eisige Wut in ihrem Gesicht, und Rachsucht in ihren Augen. Ihr gegenüber stand Leo, ruhig aufmerksam, der seine Zweifel und Ängste mit eisernem Willen beherrschte. Und rechts von ihm war ich, der alles schweigend beobachtete und sich fragte, wie lange ich, der Atenes Haß auf sich gezogen hatte, noch am Leben bleiben mochte.
Wir blickten einander an, bis ich plötzlich merkte, daß die Flamme in der Lampe über uns flackerte und Zugluft über mein Gesicht strich. Ich wandte mich um und sah, daß noch jemand im Raum war. Im tiefen Schatten erkannte ich die Gestalt eines Mannes, der auf nackten Füßen lautlos näher schlich.
Weitere Kostenlose Bücher