Azathoth - Vermischte Schriften
ein
verschlagener Kerl, der es verstand, hinter dem Rücken der Leute ans Werk zu gehen. Er war kein besonders gewinnender Anblick, aber Sophie hatte nie böse Worte für ihn. Da ihr Bruder gemein und häßlich war, wäre sie froh gewesen, wenn jemand sie ihm entrissen hätte. Sie hat sich vielleicht gar nicht gefragt, wie sie von ihm befreit werden würde, nachdem er sie von Tom befreit hatte.
So standen die Dinge zumindest im Juni '86. Bis dahin war das Geflüster der Faulenzer in Pecks Laden noch nicht unerträglich drohend gewesen. Aber im Lauf der Zeit wuchs das Element des Geheimnisvollen und der Spannung. Tom Sprague, so schien es, unternahm in regelmäßigen Abständen Ausflüge nach Rutland, und seine Abwesenheit kam Henry Thorndike sehr zustatten. Wenn Tom zurückkam, war er immer in sehr schlechter Verfassung, und der alte Dr. Pratt, so taub und halbblind er auch war, warnte ihn immer vor dem Trinken und der Gefahr des Delirium tremens. Toms Geschrei und Gefluche zeigte stets an, daß er wieder daheim war.
Am neunten Juni - einem Mittwoch, ein Tag, nachdem Joshua Goodenough mit dem Bau seines neuen Silos fertig geworden war - machte er sich auf zu seiner letzten und längsten Sauftour.
Am folgenden Dienstagmorgen kehrte er zurück, und man sah vom Laden aus, daß er seinen braunen Hengst schlug, wie er es immer tat, wenn ihn der Whiskey in den Fängen hatte. Dann drangen Schreie, Kreischen und Flüche aus dem Sprague-Haus, und das erste, was jeder merkte, war, daß Sophie, so schnell sie die Beine tragen wollten, zum alten Dr. Pratt rannte. Als der Arzt eintraf, fand er Thorndike bei Sprague.Tom lag in seinem Zimmer auf dem Bett, mit starren Augen und Schaum vor dem Mund.
Der alte Pratt fummelte ein bißchen herum, führte die üblichen Tests durch, schüttelte mit ernster Miene den Kopf und sagte zu Sophie, daß sie einen großen Verlust erlitten hätte - daß ihr nächster und liebster Verwandter die Tore zu einem besseren Land durchschritten hätte, was, wie jedermann wußte, eintreten mußte, wenn er mit dem Saufen nicht aufhörte.
Sophie schluchzte, die Faulenzer raunten, aber das war auch schon alles. Thorndike lächelte nur - vielleicht wegen des ironischen Umstands, daß er, immer sein Feind, jetzt der einzige war, der für Thomas Sprague noch von Nutzen sein konnte. Er brüllte etwas in Dr. Pratts noch halbwegs gutes Ohr von der Notwendigkeit, wegen Toms Zustand das Begräbnis sehr früh abzuhalten. Solche Trunkenbolde waren immer unsichere Kantonisten, und jede zusätzliche Verzögerung - bei begrenzten Möglichkeiten auf dem Lande - würde zu Folgen sichtbarer und anderer Art rühren, was für die trauernden Hinterbliebenen schwerlich einzusehen wäre. Der Arzt hatte gemurmelt, daß die Laufbahn als Alkoholiker Tom schon im voraus ziemlich gut einbalsamiert haben mußte, aber Thorndike versicherte ihm das Gegenteil, wobei er gleichzeitig mit seiner eigenen Geschicklichkeit prahlte und mit der Überlegenheit, mit der er seine Experimente ersonnen hatte.
An diesem Punkt fingen die geflüsterten Gerüchte der Faulenzer wirklich an, Verstörung zu verbreiten.
Bis hierher wird die Geschichte gewöhnlich von Ezra Davenport erzählt oder von Luther Fry, falls Ezra mit einer Erkältung daniederliegt, wozu er im Winter neigt. Ab hier aber nimmt Calvin Wheeler den Faden auf, und seine Stimme kann auf verdammt hinterlistige Art verstecktes Grauen andeuten.
Wenn Johnny Dow zufällig vorbeigeht, kommt es immer zu einer Unterbrechung, denn in Stillwater sieht man es nicht allzu gern, wenn Johnny zu viel mit Fremden spricht.
Calvin schiebt sich an den Reisenden heran und ergreift ihn manchmal mit seiner knorrigen, mit Leberflecken gesprenkelten Hand am Jackettkragen, während er seine wässrigen Augen halb schließt.
»Ja, Herr«, flüstert er, »Henry ging nach Hause un' holte sein Totengräberwerkzeug - der verrückte Johnny Dow schleppte das meiste, denn er ging Henry immer zur Hand- un' sagte, Doc Pratt und der verrückte Johnny sollten mithelfen, die Leiche vorzubereiten. Doc hat immer behauptet, daß Henry den Mund zu voll nimmt - damit prahlt, was für'n hervorragender Arbeiter er ist, und was für'n Glück es wäre, daß Stillwater 'nen richtigen Totengräber hätte, statt daß man die Leute einfach so begräbt, wie sie eben sind, wie sie's drüben in Whiteby tun.
"Angenommen", sagt er, "so'n Kerl hätt' 'nen Anfall von Starrkrampf, wie man's manchmal liest. Wie würde es 'nem solchen Kerl
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