AZRAEL
hat.«
»War es so schlimm, was er dir angetan hat?«
»Gestern hätte ich diese Frage noch mit einem eindeutigen Ja beantwortet«, sagte er. »Aber mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob es nicht genau umgekehrt war.«
»Uff«, sagte Beate. »Das klingt wirklich kompliziert... Bist du sicher, daß ich mitkommen soll?«
»Ja«, antwortete Mark - obwohl er nicht einmal davon vollkommen überzeugt war. Trotzdem fuhr er fort: »Außerdem ist es sowieso zu spät. Wir sind da.« Er lächelte flüchtig. »Kämm dir noch einmal die Haare und mach deine Fingernägel sauber. Immerhin machst du jetzt den Antrittsbesuch bei deinem zukünftigen Bräutigam.«
Beate setzte zu einer entsprechenden Antwort an, aber gleichzeitig folgte ihr Blick auch der Richtung, in die Marks ausgestreckte Hand wies, und ihre Augen wurden groß. »Das ... das ist dein Ernst?« fragte sie.
»Ein hübsches Haus, nicht?« Mark empfand nicht die Spur von Besitzerstolz, aber er hätte schon blind sein müssen, um nicht zu sehen, wie sehr Beate das Haus bewunderte, auf das er gedeutet hatte. Vielleicht, dachte er, war das mit dem kleinen, muffigen Zimmer im Krankenhaus nicht ganz so scherzhaft gemeint gewesen, wie er geglaubt hatte.
»Diese Villa gehört deinem Vater?«
Mark nickte. »Ich gebe zu, es ist ein bißchen klein - aber immerhin sind wir ja auch nur zu zweit.« Er streckte die Hand nach der Klingel aus, aber bevor er den Knopf berühren konnte, fiel ihm auf, daß das Tor nicht eingerastet war. Er schob es ein Stück weiter auf, schlüpfte hindurch und machte eine auffordernde Geste. »Schnell! Bevor die Hunde kommen!«
»Hunde?« Beate sah sich eindeutig erschrocken um. Aber dann blickte sie in sein Gesicht und sah das spöttische Funkeln in seinen Augen, und für einen Moment verdüsterte Zorn ihr Antlitz. »Das ist ungeheuer komisch.«
»Warum lachst du dann nicht?« fragte Mark.
Beate spießte ihn mit Blicken regelrecht auf, enthielt sich aber jeder weiteren Antwort. Wahrscheinlich war sie viel zu sehr damit beschäftigt, das Haus und den parkähnlichen Ga r ten zu bewundern. Manchmal vergaß Mark, welchen Eindruck dieses Anwesen auf jemanden machen konnte, der es zum ersten Mal sah. Sein Vater hatte nie viel von Bescheidenheit gehalten, und diesem Haus sah man es an.
»Ich glaube, es hat sich gelohnt, diesen Rothschild-Schnösel abblitzen zu lassen und auf dich zu warten«, sagte Beate.
»Ich dachte, du wolltest meinen Vater heiraten?«
»Sicher«, antwortete Beate. »Aber ohne dich wäre ich nie an ihn herangekommen, oder?«
Sie hatten das Haus erreicht. Mark zog den Schlüsselbund hervor, öffnete die Tür und lauschte einen kurzen Moment mit angehaltenem Atem. Es war vollkommen still, was ihn sehr erleichterte. Natürlich hatte er doch Angst vor dem Moment, in dem er seinem Vater wieder gegenübertreten würde, und er war auch froh, daß Marianne nicht da war. Vermutlich hatte sie sich hingelegt und schlief noch.
Er trat ein, winkte Beate, ihm zu folgen, und schob die Tür so leise ins Schloß, wie er konnte, ohne daß es auffiel.
»Es scheint niemand da zu sein«, sagte Beate.
Mark hob die Schultern. »Wahrscheinlich ist mein Vater oben in der Bibliothek«, sagte er. »Ich glaube manchmal, er lebt dort.« Er atmete hörbar ein. »Also dann: auf in die Höhle des Löwen.«
»Ich muß mich vorher noch etwas... frisch machen«, sagte Beate mit einem verlegenen Lächeln. »Geh ruhig schon vor. Ich komme sofort nach.« Sie wandte sich nach rechts und verschwand mit raschen Schritten in der Gästetoilette. Mark wunderte sich ein bißchen, woher sie überhaupt wußte, wo diese war, verfolgte den Gedanken aber nicht weiter. Es war wohl nicht sehr schwer, es zu erraten. Außerdem gab es im Moment Wichtigeres, als darüber nachzudenken. Sein Herz klopfte, und er war sehr nervös. Es kostete ihn enorme Überwindung, die Treppe hinaufzugehen und die Bibliothek zu betreten.
Sein Vater war nicht da, aber etwas von seiner Anwesenheit schien noch in der Luft zu vibrieren, und die Spuren dessen, was er in den letzten Stunden getan hatte, waren überdeutlich auf dem Schreibtisch zu sehen. Die normalerweise spiegelblank polierte Platte glich einem Trümmerfeld. Überall stapelten sich Papiere, Fotos und lose Blätter, und das Telefon, das zur Hälfte unter einem Papierwust vergraben war, hatte einen Riß, als wäre es heruntergefallen oder der Hörer mit solcher Wucht auf die Gabel geschmettert worden, daß das
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