AZRAEL
Kunststoffgehäuse geborsten war. Trotzdem mußte es wohl noch funktionieren, denn die rote Lampe des Anrufbeantworters flackerte, um darauf aufmerksam zu machen, daß eine Nachricht eingegangen war.
Mark ging ziellos zum Tisch und ließ seine Finger über die darauf ausgebreiteten Papiere gleiten. Sie interessierten ihn nicht wirklich, ganz im Gegenteil war sein Bedarf an Geheimnissen für heute mehr als gedeckt. Er wollte gar nicht wissen, was da vor ihm lag.
»Na - schnüffelst du wieder herum?«
Mark drehte sich zu seinem Vater um. Er hatte nicht einmal gehört, daß er hereingekommen war, aber auch das gehörte zu den Eigenheiten seines Vaters: Trotz seiner Masse konnte er sich so lautlos wie die sprichwörtliche Katze bewegen. Sein Gesicht trug den üblichen Ausdruck: eine Mischung aus Zorn, Härte und einem unauslöschlich eingegrabenen Mißtrauen der ganzen Welt gegenüber. Aber da war auch noch etwas - ein Schrecken, der vielleicht noch nicht ganz erwacht war, aber bereits seinen Schatten vorauswarf.
Mark widerstand dem Impuls, die Hand wie ein ertappter Sünder hastig zurückzuziehen. »Ich war in der Klinik«, sagte er.
»Ich weiß.« Sein Vater schloß die Tür und kam näher. »Du hast mit deiner Mutter gesprochen, nehme ich an?«
Mark verneinte. »Ich wollte es, aber sie haben mich nicht zu ihr gelassen. Vielleicht war es ganz gut so.«
»Möglicherweise«, antwortete sein Vater. »Für sie bestimmt. Und was willst du jetzt hier? Deine Szene von heute morgen fortsetzen oder vernünftig reden?« Er hatte den Schreibtisch erreicht und begann mit hektischen Bewegungen, die Papiere zusammenzuraffen, die darauf lagen, um sie wahllos in Schubladen zu stopfen. Er sah Mark nicht an.
Mark schluckte den Ärger herunter, den die Worte seines Vaters schon wieder in ihm wachriefen. Er konnte nun einmal nicht aus seiner Haut. »Vernünftig reden«, sagte er, mühsam beherrscht. »Erinnerst du dich an heute morgen? Du hast vorgeschlagen, daß wir gemeinsam essen gehen und uns unterhalten. Vielleicht war das eine ganz gute Idee.«
Zum ersten Mal, seit er hereingekommen war, war es ihm gelungen, seinen Vater zu verblüffen - damit hatte er sichtlich nicht gerechnet. Für einen winzigen Moment erstarrte er mitten in der Bewegung, aber dann fing er sich wieder und schaltete auch mit der gewohnten Schnelligkeit um.
»Sicher«, sagte er. »Jetzt gleich?«
Mark sah bezeichnend auf den noch immer halb verwüsteten Schreibtisch. »Wenn es im Moment nicht - «
»Das kann warten«, unterbrach ihn sein Vater. »Gib mir zehn Minuten, um mich umzuziehen. Was ist mit diesem Mädchen? Hast du ihr wenigstens abgesagt?«
Mark konnte nicht anders, als das perfekte Gedächtnis seines Vaters zu bewundern. Bei all der Aufregung, die hinter ihnen lag, erschien es ihm beinahe unglaublich, daß er sich auch an dieses winzige Detail ihres Gespräches vom Morgen noch erinnerte. »Nein«, sagte er.
»Das solltest du aber. Es ist sehr unhöflich, eine Verabredung nicht einzuhalten, ohne wenigstens abgesagt zu haben.«
»Wer hat gesagt, daß ich sie nicht eingehalten habe?« fragte Mark. Er machte eine Kopfbewegung zur Tür. »Sie ist unten. Ich dachte mir, wir nehmen sie mit - falls du nichts dagegen hast.«
Sein Vater hatte etwas dagegen, das sah er ihm deutlich an. A ber er protestierte nicht laut, sondern zuckte nur mit den Schultern und fuhr fort, seinen Schreibtisch abzuräumen, wobei er auch weiter Papiere, Bilder und kleine Zettel mit hastig hingekritzelten Berechnungen und Tabellen wahllos in die Schubladen stopfte. Es würde Stunden dauern, um dieses Chaos wieder zu ordnen, dachte Mark. Allmählich regte sich doch die Neugier in ihm, was sein Vater in den letzten Stunden getan hatte. Das rote Licht des Anrufbeantworters flackerte noch immer, aber sein Vater machte keine Anstalten, die aufgezeichnete Botschaft abzuhören.
»Soll ich so lange hinausgehen?« Mark machte eine Geste auf das Gerät, aber sein Vater schüttelte den Kopf.
»Nicht nötig. Ich weiß, wer angerufen hat. Es ist nicht wichtig. Er wird sich wieder melden, und wenn nicht - um so besser.« Er hatte die letzten Papiere vom Tisch gefegt und schlug die Schreibtischschublade mit einem Knall zu.
»Du hast dich also entschlossen, mir wenigstens eine Chance zu geben?« sagte er. »Ich muß gestehen, daß ich kaum noch damit gerechnet habe. Um so mehr freut es mich, daß du es doch tust. Es muß ein ziemlicher Schock für dich gewesen sein.«
»Das ist es
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