Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Azrael

Azrael

Titel: Azrael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Killough-Walden
Vom Netzwerk:
selbst wieder auftauchen.

12
    Die Nacht war ruhig, noch lagen keine Nebelschleier über der Bucht.
    Wie an jedem Dienstagabend endete das Getümmel auf dem Pier 39, an Wochenenden eine Touristenattraktion, schnell. Straßenkünstler, Bettler und Besucher verzogen sich. Obwohl der Nebel immer noch jenseits der Golden Gate Bridge hing, konnte man ihn schon riechen, und die dichter werdende Luft dämpfte das Klirren der Takelagen. Die Flut stieg, die Möwen verstummten und machten einander Platz auf den Masten der Boote oder den Holzdächern des Piers.
    Draußen auf Alcatraz Island blinkte der Leuchtturm seine unentwegte Botschaft in gemächlichem Rhythmus durch das Dunkel. Und die Seelöwen antworteten ihm, während sie auf den Planken des Piers, die sie vor Jahren erobert hatten, um Schlafplätze kämpften.
    Am Aussichtspunkt an der Nordseite des Piers, neben einem der vielen Münzteleskope, stand eine einsame Frau. Ihr schönes langes Haar kräuselte sich in der feuchten Luft stärker als sonst und schimmerte golden unter den Lampen. Lässig an das Holzgeländer gelehnt, schaute sie über die Bucht. Bisher hatte ihr der Kopf geschwirrt. Nun spürte er, wie sie sich beruhigte. Mit geschlossenen Augen sog sie die sanfte Salzbrise tief in ihre Lungen.
    Azrael sah Tropfen an ihren langen dichten Wimpern. Seit dem Sonnenuntergang beobachtete er sie zusammen mit seinen Musikern, die sich unsichtbar in größeren Abständen in der Nähe des Piers verteilt hatten.
    Als sie die Augen wieder öffnete, glich ihr Lächeln einem Sonnenstrahl und erinnerte ihn an den feurigen Stern, den er zweitausend Jahre lang nicht erblickt hatte. Unter der dunklen Kleidung spannte sich sein Körper an. Neuer Hunger quälte ihn. In letzter Zeit musste er sich öfter nähren. Sophie Bryce hatte das Monster in ihm geweckt, ein gefräßiges Ungetüm.
    »Alles okay?«, erklang eine heisere Stimme neben ihm.
    Azrael wandte sich vom Ziel seiner Begierde ab und schaute Randall McFarlan an. Seinem alten Freund entging nicht viel. Keinem Vampir entging allzu viel. Aber der Expolizist war besonders scharfsinnig. Nun hätte Az lügen können. Doch es wäre sinnlos gewesen, und er wollte auch jemandem mitteilen, was er empfand, seine Seele entlasten. Und so sagte er gar nichts, denn er wusste, sein Schweigen würde Randy mehr verraten als wortreiche Erklärungen.
    Verständnisvoll nickte Randall und richtete seinen stechenden Vampirblick auf das Profil der einsamen jungen Frau am Rand des Piers. »Das finde ich seltsam an Miss Bryce – die Nacht scheint sie nicht zu stören.« Langsam lächelte er und sah Az bedeutungsvoll an. »Ich würde sogar sagen, sie liebt das Dunkel.«
    Jetzt richtete Sophie sich seufzend auf. Sie schlenderte zum anderen Ende des Piers, strich sich eine Locke hinters Ohr und griff in die lederne Collegetasche, die über ihrer Schulter hing.
    Seit Azrael sie zuletzt gesehen hatte, waren ein paar Wochen verstrichen. Das kurze »Date« hatte ein jähes und für ihn äußerst ärgerliches Ende gefunden. Nie zuvor war er so wütend auf die Adarianer gewesen. In jener Nacht hatte er Sophies Träume und ihre Erinnerungen an das Date manipuliert. Nun nahm sie an, er hätte sie nach dem Dinner nach Hause gebracht und ihr eine gute Nacht gewünscht.
    Am nächsten Morgen hatten eine blutrote Rose und ein handgeschriebener Brief auf ihrem Kissen gelegen. Süße Sophie, ich habe es sehr genossen, Sie an diesem Abend etwas besser kennenzulernen. Hoffentlich erlauben Sie mir bald ein Wiedersehen. Stets Ihr Azrael.
    Den Beobachtern zufolge hatte sie bezaubernd gelächelt und den schwülen Rosenduft eingeatmet. Einen Tag später hatte sie sich auf den Flug nach San Francisco vorbereitet. In dem möblierten Apartment gehörte ihr nichts mehr. Die Umzugskartons waren abgeholt worden. Nun packte sie nur mehr die restlichen Kleider, Schuhe und Decken in zwei Koffer. Nachdem sie die Schlüssel bei der Gebäudeverwaltung abgeliefert hatte, war sie mit ihrem Gepäck in einem Taxi zum Flughafen gefahren – stets von menschlichen Dienern der Vampire begleitet, die ihre künftige Königin keine Sekunde lang aus den Augen ließen. Randall hatte seine besten Leute beauftragt, Sophie rund um die Uhr zu bewachen.
    Das beunruhigte Az ein bisschen. Er fühlte sich unbehaglich, sogar eifersüchtig. Doch er wusste, dass sich diese Maßnahmen nicht vermeiden ließen. Sophie war zu kostbar und tagsüber zu verletzlich. Also hatte er vorsichtshalber die Gehirne der

Weitere Kostenlose Bücher