Azrael

gespielt. Und jetzt beobachtete er sie so seltsam, als würde er das wissen.
    »Sicher proben Sie für das Konzert an diesem Wochenende«, bemerkte sie und versuchte trotz ihrer Verwirrung klar zu denken. Jeder, der sich für Valley of Shadow interessierte, würde Uro sofort erkennen. Und wenn man den großen, attraktiven schwarzhaarigen Mann an seiner Seite sah, würde man zwei und zwei zusammenzählen, und das Geheimnis des Maskierten wäre gelüftet.
    »O ja«, bestätigte Uro.
    »Soviel ich weiß, treten Sie im Stadion auf«, sagte sie leichthin, als würde sie die plötzliche Anwesenheit der beiden kein bisschen aufregend finden.
    »Bis alles vorbereitet ist, haben wir noch jede Menge Arbeit«, erklärte Uro.
    »Das kann ich mir gut vorstellen.« Im riesigen AT&T-Giants-Baseballstadion würden über vierzigtausend Leute Platz finden. Wieder einmal trat Valley of Shadow in die Fußstapfen so prominenter Bands wie Metallica und AC/DC. Im Gegensatz zu einigen anderen Gruppen würden Azrael und seine Musiker ihr Bestes tun, um die akustischen Probleme zu lösen. Sie präsentierten ihren Fans immer nur perfekte Shows. Da ging nichts schief. Und dank ihrer Insider-Kenntnisse wusste Sophie auch, warum das so war. Weil einem Erzengel alles gelang.
    Wussten das auch seine Musiker? Wenn ja, würde sie sich besser fühlen. Nicht mehr wie das neunte Rad am Wagen. Dann würde sie dazugehören.
    »Sophie.«
    Ihr Kopf fuhr zu Azrael herum. Niemals fiel es ihm schwer, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Als wäre sie eine Marionette, die an seinen Fäden hing.
    »Welch ein Glück, dass wir uns schon heute Nacht treffen«, sagte er sanft. »Ich hatte gehofft, Sie würden das Konzert am Samstag besuchen.« Entweder war er dreist oder schauspielerisch talentiert genug – oder beides –, um schüchtern zu wirken. Die Hände in den Taschen seines Trenchcoats lächelte er etwas schief. »Ich wollte Ihnen eine Karte und einen Backstage-Pass schicken. Aber da wir jetzt hier sind …« Er verstummte, seine Augen füllten das Schweigen. »Würden Sie Uro und mich begleiten?«
    Hätte sie ihren Blick von ihm losreißen können, hätte sie nachgesehen, ob der Boden unter ihren Füßen weggerutscht war. Der Erzengel Azrael wollte schon wieder mit ihr ausgehen?
    Bilde dir bloß nichts ein, Soph. Er war nicht allein. Und wenn sie von zwei Männern eingeladen wurde, war das kein richtiges Date, oder?
    Als sie antwortete, war ihr Mund staubtrocken, und ihre Stimme klang heiser. »Sicher habt ihr Jungs heute Nacht was anderes vor, und ihr müsst mich nicht mitschleppen.«
    »Unsinn«, sagte Uro.
    »Genau«, bestätigte Az mit heiterer Miene.
    Die beiden nahmen sie in ihre Mitte, und sie erstarrte. Zwischen zwei so starken Persönlichkeiten fühlte sie sich etwas unbehaglich. Aber sie hakten sich bei ihr ein – eine nette, vertrauliche Geste.
    Zu verblüfft, um etwas zu sagen, ließ sie sich die Straße entlangführen.

14
    Sie hieß Calliope und war traumhaft, schneeweiß, ein Zweimaster mit vier Segeln. Am Heck und an den Seiten prangten Engelsflügelreliefs. Das Boot gehörte Azrael, was Sophie aus irgendeinem Grund überraschte. Vielleicht, weil er immer nur Schwarz trug und nicht wie ein typischer Segler aussah? Und um das Wunder zu vervollständigen, lag die Calliope auch noch am berühmtesten Pier der Nation vertäut, am 39.
    Nahe der Kabelstraßenbahnstation waren Azrael, Uro und Sophie in eine Limousine gestiegen, ein Chauffeur hatte sie zur Fisherman’s Wharf gefahren. Von dort waren sie zum Dock C gegangen, durch das Gatter zu einem wackeligen Brettersteg und zu den Booten.
    Mit großen Augen schaute Sophie sich um, als Az sie an Bord willkommen hieß. Das alles war einfach – zu perfekt. Wenn sie erwachte und sich daran erinnerte, würde sie glauben, es wäre nichts als ein schöner Traum gewesen.
    Aber sie träumte nicht, sie erlebte es wirklich.
    Nun saß sie in einem Liegestuhl, den Az ihr angeboten hatte, an Deck. Uro führte im Steuerhaus das Ruder, inspizierte die Radardaten und die Kontrollanzeigen. Im Bug hantierte Azrael mit den Tauen, und sie erinnerte sich vage an entsprechende Erklärungen ihrer Mutter.
    Sophie liebte die Bucht. Deshalb hatte sie nicht in Berkeley, sondern in San Francisco ein Apartment gemietet. Jeden Montag, Mittwoch und Freitag würde sie mit dem Zug in Richtung Richmond zu ihren Kursen fahren. So oft wie möglich wollte sie in der Nähe des Meeres sein. Vielleicht, weil sie sich auf diese