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Azrael

Azrael

Titel: Azrael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Killough-Walden
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dir?« Er ließ ihre Hand los und strich ihr eine blonde Haarsträhne hinters Ohr.
    Unwillkürlich erschauerte Sophie, und sie schloss die Augen. Nur für ein paar Sekunden. Ja, dachte sie hilflos, o ja. »Als ich klein war, kam ich oft mit meinen Eltern hierher. Meine Mutter liebte die Bucht …« Nun sah sie den Mann an ihrer Seite wieder an. Jedem einzelnen ihrer Worte schien er aufmerksam zu lauschen, und so sprach sie weiter. »Sie nahm Segelstunden in San Francisco und versprach, wenn sie’s gut genug könnte, würde sie mit Dad und mir aufs Meer hinausfahren.«
    Vor ihrem inneren Auge erschien der Grabstein mit den Namen ihrer Eltern. Für eine Weile empfand sie wieder eine vertraute Trauer, so wie jedes Mal wenn sie sich erinnerte, dass ihre Mutter die Gelegenheit dazu nie erhalten hatte. Niemals war ihre Mom aus eigener Kraft unter die Golden Gate Bridge gesegelt. Viel zu früh hatte der Tod ihr die Chance genommen.
    Der Tod.
    Doch Azraels glühende Goldaugen verdrängten die düsteren Gedanken.
    Glühende Augen? Neue Unsicherheit befiel Sophie und verflog sofort wieder – so schnell, wie der Nebel die Segel der Calliope freigegeben hatte.
    »Sophie.« Der Erzengel drehte sie zu sich um, sodass sie vor ihm stand, und sie geriet in einen unwiderstehlichen Bann, gefangen in Raum und Zeit, glücklich und halb benommen, voll wachsender Vorfreude. »Süße, süße Sophie.« Mit beiden Händen umfasste er ihr Gesicht, seine Fingerspitzen liebkosten ihren Nacken, seine Daumen die Wangen.
    So achtsam hielt er sie fest, als er ganz nah zu ihr trat. Sie konnte kaum atmen, nicht blinzeln, nicht wegschauen. Jetzt neigte er sich herab, blendete den Rest der Welt aus, und alles, was Sophie in diesem Moment wusste, las sie in Azraels Augen.
    »Tut mir so leid, meine Liebste. Wäre es nach mir gegangen …« Er unterbrach sich, schüttelte den Kopf, und sie konnte nur warten und zuhören. »Niemals hätte ich dich verletzt«, flüsterte er dicht an ihrem Mund. »Niemals, Sophie, hätte ich dir diesen Schmerz zugemutet.«
    Nun gab es kein Boot mehr, keine Brücke, kein Meer, keine Bucht, als der Erzengel Azrael mit seinem rechten Daumen über ihre volle Unterlippe strich. Zu klaren Gedanken war Sophie nicht mehr fähig. Seine Worte glitten durch sie hindurch und davon.
    Nur seine schöne Stimme erreichte die Tiefen ihrer Seele, und Sophie erschauerte wieder unter seiner Berührung. Und dann bestürmte er sie mit seiner ganzen Macht, ihren Körper und ihr Inneres. Siegessicher beugte er sich noch näher zu ihr herab. Kurz bevor sein Mund den ihren fand, schloss sie die Augen, in einem so himmlischen Glück verloren, dass sie zu sterben glaubte.

15
    Er konnte nicht anders. Vielleicht war es falsch, und sie hätte mehr Zeit gebraucht. Doch er war die ganze Nacht in ihrem Kopf gewesen, hatte ihr die Angst genommen, seine Vampirkräfte genutzt, um sie zu beschwichtigen und ihre Sorgen zu vertreiben. Mit innerer Ruhe erfüllte er sie und schenkte ihr jenes Glück, das sie empfinden sollte. Das wünschte er sich so inbrünstig. Und in diesem Bestreben hatte er seine eigene Seele geöffnet und sich allem ausgeliefert, was Sophie Bryce ihm zu geben vermochte, ihrer hinreißenden Schönheit, ihrer süßen Reinheit.
    Doch es war ein Fehler gewesen. Ganz egal, was Randall meinte – in Sophies Nähe durfte Azrael sich selbst nicht trauen. Bei jeder anderen Frau, ja. Seit unzähligen Generationen existierte er, hatte mehr gesehen, gehört und gefühlt, als die meisten Menschen ermessen konnten. Überall war er gewesen. Stets hatte die Versuchung im Hintergrund gelauert und gewartet, immer machtvoll, aber niemals seine volle Aufmerksamkeit verlangt.
    Kein einziges Mal seit seiner Verwandlung. Nicht bis zu dieser Nacht.
    Vor allem ihre Unschuld berauschte ihn. So wenig wusste sie. Die ganze Menschheit wusste nicht viel. Aber Sophie akzeptierte es und suchte es nicht zu verbergen. Sie hatte ihn den Nebel teilen sehen, so wie Moses seinerzeit das Meer, und einfach geglaubt, das würde er als Erzengel können. In Wirklichkeit vermochten die Erzengel das Wetter nicht zu beeinflussen, dieses Talent war den Sternenengeln vorbehalten. Und dem rätselhaften Samael.
    Aber als Vampir konnte Azrael bis zu einem gewissen Grad auf die Luft einwirken, die ihn umgab. Diese Fähigkeit ermöglichte es ihm auch, zu fliegen und Nebelschwaden, falls vorhanden, heranzuholen oder zu vertreiben. Je älter ein Vampir war, desto größer wurde die Reichweite

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