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Azrael

Azrael

Titel: Azrael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Killough-Walden
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folgte Smith zum Ende eines Korridors, der -wie sie sich jetzt entsann – »Broadway« hieß. Auf der Schwelle eines anderen Raums sah sie einen verblassten, aber denkwürdigen roten Handabdruck am abblätternden Anstrich einer Wand, zweifellos von einem Häftling in der berüchtigten Strafanstalt hinterlassen und immer noch sichtbar. »Ich bin in Alcatraz«, sagte sie leise, nicht zu Smith, sondern zu sich selbst.
    »Ja, bedauerlicherweise«, bestätigte Smith. »Aber obwohl mein Arbeitgeber fürchtet, Sie könnten frieren, zieht er die frische Luft vor. Deshalb werden wir ihn im Hof treffen.«
    »Wer sind Sie?«
    Er schaute sie über seine Schulter an und schenkte ihr ein warmherziges, verständnisvolles Lächeln. »Vermutlich wollen Sie wissen, was ich bin. Und ich ahne auch, warum.« Das Lächeln wurde breiter und erreichte die blauen Augen. »In letzter Zeit haben Sie einiges durchgemacht. Erst Engel, dann Vampire. Nicht wahr?«
    »Sind Sie ein Vampir?«
    Nun lachte er leise. »O nein!«, betonte er, als wäre allein schon der Gedanke völlig abwegig.
    Durch eine letzte Tür traten sie in die Kälte der Morgendämmerung über Alcatraz. Fröstelnd schlang Sophie die Arme um den Leib. Sie trug immer noch die warme Army-Jacke, die sie vor einer scheinbaren Ewigkeit in ihrem Apartment angezogen hatte. Aber hier draußen, mitten in der Bucht, herrschten stets viel niedrigere Temperaturen als auf dem Festland, und es wehte ein stärkerer Wind.
    Für ein paar Sekunden schloss sie die Augen, um sie vor einem eisigen Windstoß zu schützen. Dann spürte sie etwas Schweres auf ihren Schultern, blinzelte und beobachtete, wie Smith sie in sein Jackett hüllte. »Sophie Bryce«, sagte er. Sie drehte sich zu ihm um und folgte seinem Blick, den er auf das andere Ende des Hofs richtete. »Darf ich Ihnen meinen Arbeitgeber vorstellen?«
    Zwischen ihren zerzausten Haarsträhnen hindurch, die im Wind flatterten, starrte sie auf eine weiß gekleidete Gestalt, die ihr den Rücken kehrte.
    »Gregori«, fügte Smith hinzu.
    Der Mann war sehr groß. So etwas überraschte Sophie nicht mehr. Stattdessen staunte sie, weil Smith nur knapp eins achtzig maß. Gregoris schlanke, breitschultrige Figur und das dichte pechschwarze, lange Haar erzeugten ein seltsames Zittern in Sophies Bauch. Weil er die Bucht zu betrachten schien, sah sie sein Gesicht nicht. Aber aus irgendeinem Grund glaubte sie, es müsste attraktiv sein. Sogar schön.
    Offensichtlich maßgeschneidert, schmiegte sich der weiße Anzug perfekt an seinen athletischen Körper. Die Hände in den Hosentaschen, nahm er eine betont lässige Pose sein. Oder er war in Gedanken versunken.
    Sophie stellte sich vor, so müsste Al Capone ausgesehen haben, wenn er während seiner Haft in Alcatraz aufs Meer geschaut hatte. Anscheinend regte die Atmosphäre des berühmt-berüchtigten Gefängnisses ihre Fantasie an.
    Ohne das Jackett von ihren Schultern zu nehmen, ging Smith zu dem Mann in Weiß. Eine kurze Treppenflucht führte zu der Plattform empor, auf der sein Arbeitgeber stand.
    Langsam und vorsichtig stieg Smith die Stufen hinauf, als wollte er seinen Respekt vor einem viel Mächtigeren bekunden. Was er sagte, hörte Sophie nicht, denn der Wind fegte pfeifend über den Hof. Aber Gregori neigte den Kopf und schien zu lauschen. Sie sah die kraftvollen Konturen seines Kinns, ihr Herz pochte ein wenig schneller. Dann nahm er die Hände aus den Hosentaschen und drehte sich zu ihr um.
    O nein. Jetzt begann ihr Herz zu rasen. Ich hatte recht.
    Obwohl sie ihn aus einigen Schritten Entfernung betrachtete, erschien ihr die Intensität seiner grausamen Schönheit fast greifbar. Seine Augen schimmerten in der Farbe dünnen blauen Eises, beherrschten die markant gemeißelten Züge eines dunkelhäutigen Gesichts und zogen Sophies Blick wie magnetisch an. Hypnotisierend, beunruhigend. Irgendetwas stimmte da nicht. Sie konnte es nicht definieren, doch sie wollte den Mann lange genug anstarren, um es herauszufinden. Er war ein Rätsel, das sie fesselte. Und sie hatte ihn erst drei Sekunden lang angeschaut.
    Ich kann mich nicht bewegen, dachte sie. Reglos stand sie da, wie angewurzelt, und erwiderte den Blick dieser hellen, hellen Augen. Fast weiß waren sie. Und in der Mitte …
    Nun wehte die schwache Duftwolke eines Eau de Cologne zu ihr herüber, sauber und maskulin. »Ganz erfroren sehen Sie aus, Sophie.« Seine Stimme glich schwarzem Samt, und sie vernahm die Worte, als würden sie intim in ihr Ohr

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