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Azraels Auftrag (German Edition)

Azraels Auftrag (German Edition)

Titel: Azraels Auftrag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Oswald
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meiner Haustür
    Ging auf die Pflaumenblüte
    In schönster Mondnacht –
    Gern zeig ich Nacht für Nacht sie:
    Ach, wie ich auf dich warte.
     
    Ki-no-Iratsume
    Manyôshû Dynastie
     
    Früher Tanka, Vorläufer der Haikus, ca. 700 n.Chr.
     
     
     
     
     
     
    Zwischenwelt:
     
    Die Felsen schienen höher zu sein, doch das täuschte, da sie nun fast komplett mit Moosen und Flechten überzogen waren. Große, alte Bäume standen um die kleine Findlingsgruppe, die ihnen damals als Feuerplatz gedient hatte. Vor kurzem waren es aber noch junge Stämme gewesen.
    Das Mondlicht hüllte alles in sein weiches Licht, das viele Dinge anders erscheinen ließ doch es war auffällig, dass etwas Bestimmtes anders war als vorher. Der Ort, der 14 Jahre ihre Heimat gewesen war, hatte sich verändert.
    Nein, nicht verändert - er ist nur älter geworden.
    Sie hatte sich verändert.
    Es lag nur eine Stunde zurück, als sie mit Mika und Carlos Zwischenwelt verlassen hatte.
    Wozu eigentlich?
    Ach ja, da war ja ihre Berufung, der Auftrag – das, was man ihr als DIE Lebensaufgabe beschrieben hatte.
    Warum war sie eigentlich nicht tot, fiel ihr jetzt erst ein, als sie sich an die letzten Ereignisse auf dem Waldmond erinnerte. Warum war sie wieder hier, an dem Ort, an dem alles begann? Welcher grausame Scherz folgte nun?
    Sollte das Ganze nochmals von vorne beginnen? Würde sie einen neuen Partner zugeteilt bekommen?
    Ein Gedankenblitz durchhuschte sie:
    Sie war wieder hierher zurückgekommen. Würden die Wächter auch Mika hier wieder zurückführen?
    ... und Carlos?
    Eleeya sah sein Bild vor ihren Augen. Ein Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück.
    Hi , hörte sie seine warme Stimme, wie geht’s dir?
    Ihre Augen starrten ins Leere, ein zartes Lächeln lag auf den Lippen. Bewegungslos stand sie so da und starrte hinaus aufs Meer, warme Windböen spielten mit ihrem Haar.
    Ihr Blick kehrte aus der unendlichen Ferne zurück.
    Das Lächeln erstarrte und verschwand.
    Sie wusste, es war niemand da, der mit ihr sprach.
    Sie war alleine.
    Eleeya schloss ihre Augen und konzentrierte sich auf den mentalen Ruf, den Ruf, der sie mit Vater oder Azrael in Verbindung gesetzt hatte.
    Doch da war nichts. Eleeya spürte nicht den geringsten Kontakt. Etwas stimmte nicht, irgendetwas ist geschehen! Waren die anderen Wächter tot, fragte sie sich erneut?
    Was sollte sie hier tun? Wieder erschienen in ihrer Vorstellung diese dunklen braunen Augen.
    Eleeya, mein Mädchen, ich möchte bei dir sein...
    Ein schmerzhaftes Lächeln überzog ihr Gesicht.
    Sie ging über den grasbewachsenen Boden, der felsige Bereiche entblößte. Das Laub der alten Bäume bedeckte zum Teil den natürlichen Pfad, der zur östlichen Klippe führte. Noch waren die Sonnenstrahlen sehr wärmend, doch es würde nicht mehr lange dauern, bis die Bäume alle Blätter abwerfen würden und die Tage nur noch sehr kurz und kalt wären.
    Nachdenklich betrachtete Eleeya die verwelkten Blumensträucher am Rande des Weges. Sie blieb stehen und pflückte die letzte Blüte.
    Von den ursprünglich sieben roten Blütenblättern waren bereits zwei abgefallen, die restlichen klammerten sich an den alten Fruchtstamm.
    Eleeya hatte den Rand der Klippe erreicht und starrte aufs offene Meer hinaus. Eine sanfte Brise kam vom offenen Meer herüber. Eleeyas Augen wurden glasig.
    Hoch am Himmel zog ein Fischgreifer seine Kreise und stieß seine langen Schreie aus, mit denen er sich als Herr seines Territoriums erklärte.
    Am Himmel wandert
    das fahle Licht des Mondes
    über das Schallmaar...
    Eleeya hob die Hand und schaute auf die Blüte. Ein weiterer Windhauch zerrte an den letzten Blütenblättern, die sich dunkelrot verfärbt hatten. Erst lösten sich zwei weitere Blätter, dann ein weiteres.
    Eleeyas Blick wanderte hoch zum Himmel. Der Mond. Mittlerweile nur noch als schmalen Sichel erkennbar. Im Hintergrund war das farbenprächtige Band des Spiralarms zu sehen.
    Du bist das Licht am Himmel.
    Du warst es, die ganze Zeit!
     
    Carlos , dachte Eleeya. Bitte vergib mir, ich habe versagt! Erste Tränen flossen über ihre Wange.
    Nachdenklich drehte Eleeya die Blume in ihrer Hand.
    Das letzte Blütenblatt löste sich und wirbelte mit den Windböen davon.
    Eleeya, bitte rede mit mir, ich möchte jetzt nicht allein sein!
    Eleeya öffnete weit ihre Arme. Zum ersten Mal seit langer Zeit öffneten sich ihre hauchzarten Schwingen und schillerten im Mondlicht in allen Regenbogenfarben. Warmer Wind umspielte ihr Haar.

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