Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
einer korallenfarbenen – und wohl auch daraus hergestellten – Sänfte. Ihr Haar war blond, nur einige silberne Streifen durchzogen es. Sie war schön, schöner als ich gedacht hatte, aber deutlich älter und weniger attraktiv als Selene. Ihr Gesicht wurde von dem harten, grimmigen Ausdruck, mit dem sie Selene und deren Sohn bedachte, beinahe entstellt.
Das Bild verschwand, und ich befand mich mitten in einem Wettkampf. Ein sehr junger Alastair mit leicht gelocktem schwarzem Haar, seine Wangen röteten sich leicht
vor
Anstrengung, stand sich im Kampf mit einem mir unbekannten Marianer gegenüber. Sie trugen beide armlange Holzstäbe, und schon jetzt war ersichtlich, dass Alastair im nächsten Moment gewinnen würde. Genau das tat er auch – er schielte mit einem triumphierenden Lächeln hoch zur Richtertribüne, wo Claude saß.
»Vater«, bildeten seine Lippen stumm.
Hippolyta drehte ihren Kopf zu Claude, der sich beider Blicke bewusst wurde, mit einem Seufzer nach Hippolytas Hand griff und den Kopf zur Seite wandte, um Alastair nicht mehr anblicken zu müssen.
Die Enttäuschung, die Alastair damals empfunden haben musste, traf mich tief. Und noch immer nicht genug!
Der Hass verstärkte sich von diesem Punkt an immer mehr, er wuchs und wuchs ins Unermessliche.
Alastairs gegenwärtige und tatsächliche Stimme kam bis zu mir vor.
»Sieh gut hin«, riet er mir spöttisch.
Panik stieg in mir auf.
Sechzehnjährig, so schätzte ich, war da Alastair. Selene lächelte. Ihr Lächeln troff vor Wut über enttäuschte Liebe und Hoffnungen. Sie waren nicht in Azulamar direkt, sondern anscheinend auf einer Reise durch die Meere, denn ich sah improvisierte Lager. Es war dunkle Nacht.
Alastair blickte Selene fragend an, als ich im Hintergrund erkannte, wie der blonde Bruder Baltimores und eine ebenso hellhaarige Frau eng umschlungen beieinanderstanden. In diesem Augenblick stürzte ein Schwarm schwarz gekleideter Gestalten auf sie.
»NEIN!«, schrie ich, machte gleichzeitig mit einem schockierten Alastair einen Schritt auf sie zu, doch er wurde bereits von seiner Mutter festgehalten.
Die Wasserflüsterer – denn nichts anderes waren diese hünenhaften Gestalten – rammten erbarmungslos ihre Waffen in die Herzen des Erben Azulamars und seiner Geliebten, die, sich immer noch aneinanderklammernd, zu Boden sanken. In diesem Moment betrat der König Claude den Platz des Grauens.
»Eaden! Terpsichore!«, schrie er, fiel neben den toten Körpern zu Boden und rüttelte seinen Sohn, bevor die anderen Wasserflüsterer über ihn herfielen.
Die Geräusche des Kampfes hatten die Leibwächter der königlichen Familie angelockt – doch es war zu spät. Die Wasserflüsterer verschwanden in den Schatten der Dunkelheit und Selenes Lächeln intensivierte sich.
Es lief mir eiskalt den Rücken herunter.
Sofort veränderte sich das Geschehen wieder. Atemlos verfolgte ich, was ich nun sah.
Es war eine Frau mit blonden Locken, deren Gesicht mir bekannt vorkam. Es dauerte einige Augenblicke, bevor ich begriff, warum.
Es waren Erics Augen. Erics Lippen. Erics Art zu lächeln. Sie öffnete die Tür zu einer schicken Wohnung, Alastair trat ein und legte die Hände um ihren Hals.
Kein einziger Laut entwich ihren roséfarbenen Lippen, kein Schrei entrang sich ihrer Kehle. Sie wirkte zu zierlich und viel zu zerbrechlich neben dem jugendlichen Alastair, der damals schon groß und sehnig-muskulös war und sie zerdrückte wie eine Blume. Ihre lebendige Schönheit zerbrach unter seinen Händen, und als sie zu Boden sank, zog Alastair erbarmungslos ruhig eine Visitenkarte hervor.
Baltimore Noir stand darauf geschrieben, zusammen mit einer Adresse – und ich verstand nun, dass das der Name sein musste, den Baltimore an Land angenommen hatte. Alastair ließ sie neben der leblosen Frau – Angela, Erics Mutter – fallen, drehte sich kaltblütig um und verschwand.
Der nächste Erinnerungsfetzen folgte unmittelbar darauf. Ich stand mit Alastair draußen und beobachtete im Verborgenen, wie Gregory – ein jüngerer, sympathischerer Gregory – nach Hause kam und seine tote Frau fand.
In Tränen aufgelöst kniete er neben ihr, schüttelte sie, bis sein Blick auf die Karte fiel. »Nein …«, flüsterte er fassungslos.
»Doch«, sagte Alastair, der mittlerweile eingetreten war und sich im Verborgenen hielt. »Wer ist da?« Gregory stand auf, sofort kampfbereit.
»Das spielt keine Rolle. Baltimore hat Ihre Frau ermordet, zusammen mit Monique.
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