Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
merkwürdigen Narben hatte, die diagonal von seiner Schläfe bis beinahe zu seiner Wange verliefen.
»Das hier sind keine normalen Narben. Es sind –
Kiemen
«, erklärte er mir mit leiser Stimme.
»Was?«, wiederholte ich ungläubig. »Du willst mir sagen, dass du
Kiemen
besitzt?«
Er nickte. »Ich weiß, das klingt total verrückt für dich. Aber genau deswegen habe ich dich hierher gebeten. Ich mag Chlorwasser nicht besonders, manchmal brennt es sogar etwas in den Kiemen, aber um es dir zu zeigen, ist klares, ruhiges Wasser eben deutlich besser.«
Nachdem River diese Worte ausgesprochen hatte, machte er einen gestreckten Kopfsprung ins Wasser und tauchte wieder auf. Er winkte mir zu. »Komm rein.«
Ich zögerte, seiner Aufforderung nachzukommen.
Vorsichtig ging ich zu Leiter und ließ mich in das lauwarme Wasser gleiten, machte ein paar Schwimmzüge und kam näher zu ihm.
»Und jetzt?«, fragte ich argwöhnisch.
»Jetzt tauchen wir«, verkündete er mit einem leisen Lächeln, griff nach meiner Hand und zog mich mit sich unter Wasser.
Das stellte für mich kein Problem dar, ich war eine gute Schwimmerin und im Tauchen war ich sogar noch besser. Der Griff um meine Hand lockerte sich etwas, sodass wir unsere Hände nun nur noch leicht hielten.
Wenn er wollte, konnten wir dieses Spiel spielen …
Wir hielten uns mühelos unter Wasser, bis plötzlich seine Stimme erklang, normal laut, seltsam metallisch, aber doch unverwechselbar die von River: »Na? Glaubst du mir nun?«
Erschüttert riss ich die Augen auf. Er hatte komplette Kontrolle über seine Gesichtsmuskeln und seine Worte waren klar ausgesprochen. Das konnte ich nicht … Als ich es versuchte, ihm zu antworten, kamen nur unverständliche Worte und einige Luftblasen aus meiner Kehle. River lachte, tief und melodiös, während er mich amüsiert musterte.
»Ich bin ein Marianer. Oder eher – zur Hälfte bin ich einer. Lass uns wieder auftauchen.«
Wir durchstießen gemeinsam die Oberfläche, und während ich nach Luft schnappte, stand er einfach nur da.
»Wie ist das möglich?«, flüsterte ich. »Wie hast du das gemacht?«
»Hab ich doch gerade gesagt. Hörst du mir nicht zu?«, erwiderte er ungeduldig. »In mir fließt zur Hälfte Marianerblut.«
»Was genau ist ein Marianer?«, wollte ich wissen, während wir zum Rand zurückschwammen und uns aus dem Wasser zogen.
»Wenn ich dir das erklären will, musst du mir bedingungslos glauben, sonst wird sich jedes einzelne Wort wie reine Fantasie anhören«, sagte River und sah mir fest in die Augen, »Glaubst du mir?«
Er hätte mich genauso gut fragen können, ob die Erde eine Scheibe ist.Es war so unrealistisch! Sicher, ich war gerade früher eine Träumerin gewesen, hatte an die Existenz von Engeln, geflügelten Löwen, Drachen, Einhörnern und Meerjungfrauen geglaubt, aber jetzt? Ich war siebzehn. Zu alt für solchen Unsinn.
Aber seine Augen waren fest und hatten nichts Wahnsinniges an sich. Er war bei vollem Verstand, und ich hatte eine Erklärung verlangt.
Ich
musste
ihm glauben, wenn ich nicht ihn und mich zugleich verraten wollte. »Ja«, flüsterte ich kaum hörbar.
Ein leichtes Lächeln legte sich um seine Lippen, bevor er weitersprach: »Vor vielen Hundert, ach was, vor vielen Tausend Jahren regierten noch andere Götter diese Welt. Damit will ich nicht sagen, dass es den
einen
Gott, den wir aus dem Islam, dem Judentum und dem Christentum kennen, damals noch nicht gab – er trat nur anders, oder vielleicht auch überhaupt nicht in Erscheinung.
Kennst du die Geschichte von Hades und Persephone?«, stellte er mir eine Zwischenfrage.
Ich durchforstete mein Gedächtnis. »Ja, aber es ist schon lange her, dass ich sie gelesen habe.«
»Diese Geschichte ist ein wichtiger Bestandteil meiner Erzählung. Hades, Gott der Unterwelt und des Todes, verliebte sich in Persephone, in die Tochter der Göttin Demeter, die für die Erde selbst stand. Tatsächlich erwiderte Persephone seine Liebe, aber ihre Beziehung stand unter keinem guten Stern. Schließlich entführte Hades Persephone in die Unterwelt, aber durch Demeters Bitten bei Zeus musste er sie schließlich freilassen. Er tat es, und Demeter brachte ihre Tochter auf eine Insel, wo sie ihr Leben allein verbringen sollte. Niemals sollte Hades sie dort finden.
Aber Hades’ Liebe kannte keine Grenzen – wenn ein Gott des Todes liebt, dann kann man sicher sein, dass diese Liebe von schwarzer Leidenschaft durchwoben ist.
Die Legende der
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