Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
schmutziges Laken lag, die Beine leicht auseinander gestellt, die Hände hielt er durch die Handschellen verkrampft nach hinten. Sein Haar hing ihm strähnig ins Gesicht.
»River«, sagte ich zärtlich und blickte ihn an.
Er hob ruckartig den Kopf und unsere Augen fanden sich.
»Ich hab jemanden kommen gehört, und ich dachte schon, dass die Schritte wie die deinen klingen«, murmelte er, sich erhebend. »Aber ich hätte nicht zu hoffen gewagt, dass du es wirklich bist. Kommst du, um mich zu besuchen?«, fragte er leise. »Oder um mir Vorwürfe zu machen?« River stand auf, machte einige, unsichere Schritte zum Gitter hin und lehnte seine Schultern dagegen.
Behutsam legte ich meine Fingerspitzen auf seine Brust, hätte am liebsten seine Hand genommen, konnte sie aber natürlich nicht erreichen.
»Weder das eine noch das andere«, antwortete ich sanft. »Ich komme, um dich hier rauszuholen.«
Wie um meine Worte zu bestätigen, fand der Polizist endlich die Schlüssel, entriegelte Rivers Zelle, und im nächsten Moment fiel ich ihm in die Arme. Oder eher: Ich umarmte ihn, und er legte sein Kinn auf meinen Scheitel, anders ging es wegen der Handschellen nicht.
»Es ist so gut, dass du da bist«, sagte River, und für diesen Augenblick blieb für uns die Zeit stehen.
Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich wusste, es war unrealistisch und es war falsch, aber ich begann zu verstehen, was in mir vorging.
»Sie sollten froh sein, eine solche Freundin wie Miss Gibbs zu haben«, schmeichelte mir der Polizist und wies River gleichzeitig zurecht.
Ich wollte sagen: Ich bin nicht seine feste Freundin.
Doch dazu kam ich nicht.
»Ja«, sagte River leise. »Da haben Sie recht.«
Mir kam es vor, als wäre das das Netteste, was er je zu mir – und wahrscheinlich je zu einem Menschen – gesagt hatte.
Man nahm ihm die Handschellen ab und wir konnten endlich nach draußen gehen.
Der Polizist wünschte uns noch einen schönen Tag und dann standen wir an der Straße. Ich hatte mir ein Taxi genommen, um dort hinzukommen, hatte auf den Polizisten eingeredet, Formulare ausgefüllt, herumtelefoniert und es schließlich erreicht, dass die Tat richtig aufgeklärt wurde.
Wir griffen gleichzeitig nach der Hand des anderen.
Hatten wir uns ineinander verliebt? Es fühlte sich noch größer an als jedes Gefühl, das ich bisher empfunden hatte. War das möglich?
»Wohin gehen wir jetzt?«, fragte er mich.
»Wahrscheinlich sollte ich mich mal zu Hause blicken lassen«, überlegte ich. »Sonst drehen meine Mom und Gregory noch durch.«
»Gregory …«, wiederholte River kühl. »Den hatte ich fast vergessen.«
Ich wandte mich ihm lächelnd zu. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um nachzubohren, warum er die Aames-Familie so sehr verabscheute.
»Ich auch«, gestand ich und drückte seine Hand. »Vielleicht lässt sich der Tag ja auch noch irgendwie fortsetzen?«
»Frag doch einfach, ob du heute Abend noch zu mir kommen darfst.«
Überrascht ließ ich meinen Blick über sein Gesicht wandern. Er hatte mich bisher noch nie zu sich nach Hause eingeladen – und es auch sonst vermieden, mit mir über seine Familie zu sprechen, oder etwas anderes diesbezüglich zu offenbaren.
»Ja«, stimmte ich ihm zu. »Das mach ich gerne.«
»Dann sehen wir uns heute Abend noch?«, fragte er, und seine Stimme klang beinahe hoffnungsvoll.
Er hatte kaum noch etwas von dem bissigen, fiesen River an sich, den ich am Anfang kennengelernt hatte. Im Gegenteil: Er gehörte zu den Guten, und Tyler und die anderen hatten ihm das Leben schwer gemacht. Natürlich war River kein einfacher Mensch – immerhin war er zur Hälfte sowieso keiner –, aber ihn so zu behandeln, war einfach nur unmöglich.
»Das tun wir«, erwiderte ich und umarmte ihn noch einmal. »Wollen wir uns ein Taxi teilen?«
Er lehnte ab. »Nicht nötig. Ich bin zu Fuß ganz gut unterwegs, und ein bisschen Bewegung wird mir nicht schaden.«
»Okay. Dann bis später.«
»Bis später, Ashlyn.«
Und mit diesen Worten drehte er sich um, verschwand hinter der nächsten Ecke und ließ mich allein.
Ich lächelte. Wir hatten uns nun ja schon öfter getroffen, aber anscheinend war das unser erstes richtiges Date.
Eine gute halbe Stunde später war ich wieder zu Hause. Es fühlte sich so an, als wären Tage vergangen, seitdem ich weggegangen war, und nicht nur einige Stunden. Ich schloss die Tür auf, ließ meine Tasche auf den Boden gleiten und rief: »Ich bin wieder da!« Dann erst bemerkte
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