Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
existiert?«, bestürmte ich River, doch er hüllte sich in den Mantel des geheimnisvollen Schweigens.
»Menschen sind kurzsichtig, weißt du? Sie sehen nur, was sie sehen wollen«, gab er mir als vage Antwort.
Mich und meinen Wissensdurst befriedigten diese Worte keineswegs, doch mir blieb nichts anderes übrig, als River die Zeit zu lassen, die er für Erklärungen wählte. Er hatte mir bisher alles genauer erläutert, wenn ich ihn nur nicht gedrängt hatte.
Wir sanken tiefer hinab, und dann hörte ich etwas. Erst war das Geräusch nur ganz leise, aber ich war mir sicher, dass es aus Azulamar stammte.
»River, was ist das?«, flüsterte ich kaum hörbar.
»Lausche einfach nur«, forderte er mich gelassen auf. Sein Blick ruhte auf mir, während ich die Augen schloss, mich von ihm weiter hinabziehen ließ und mich dabei nur auf die Klänge konzentrierte.
Es war ein engelsgleicher Gesang, glockenklar und von einer angenehmen, zarten Lautstärke, die trotz allem eine gewisse Stärke und Energie auf mich ausübte.
Kein einzelnes Wort ließ sich ausmachen. Ich verstand den Sinn des Liedes nicht, besonders, weil keine Melodie im Hintergrund gespielt wurde, aber die Begriffe »Freiheit«, »Glanz«, »Lichtspiel« und »Leben« kamen mir ganz plötzlich, als hätte ich die merkwürdige Sprache, die nicht von dieser Welt zu sein schien, übersetzt.
Es war die Sprache aus meinem Traum. Kein Zweifel bestand mehr – ich hatte von diesem Ort geträumt, in der Nacht, bevor ich River kennengelernt hatte …
In diesem Moment berührten meine Füße den weichen, schlammigen Meeresboden, der um Azulamars Bauwerke herum nicht von zähen, dunklen Wasserpflanzen bewachsen war. Verwundert stellte ich fest, dass es River und mir möglich war, uns beinahe wie an Land zu bewegen. Etwas unsicher setzte ich meine ersten Schritte.
»Willkommen in Azulamar«, sagte River und machte eine einladende Geste, indem er auf die Straße deutete, die direkt auf das Stadtzentrum zuführte.
Unsere Bewegungen waren nun eine Mischung aus gehen und schwimmen, und schon nach kurzer Zeit gewöhnte ich mich an den merkwürdigen Ablauf.
Die Straße führte pfeilgerade in das Zentrum Azulamars und wurde von hohen, schmalen Säulen gesäumt, deren Stil als Mischung aus griechisch und ägyptisch zu beschreiben war. Ich nahm an, dass sie alte Überbleibsel aus der atlantischen Kultur waren – immerhin war Atlantis ein Inselimperium im Ägäischen Meer gewesen, also mit politischer und kultureller Nähe zu Griechenland und Ägypten.
Merkwürdige baumartige Gewächse ergaben mit den Säulen eine Reihe. Mich erinnerten sie an Akazien; ihre Blätter glichen Olivenpflanzen, während die Stämme dünner als normal waren.
Und dann erblickte ich den ersten, vollblütigen Marianer. Es war ein Mann von mittlerem Alter, der einen meeresblauen Umhang und schwarze Beinkleider zu einem nackten Oberkörper trug. Der Umhang schimmerte wie feine Seide, war aber an sich zu dick, sodass ich mir ziemlich sicher war, dass er wohl mit einem anderen Stoff gefüttert sein musste.
Der Marianer war sicherlich um ein gutes Stück größer als River, und der war schon hochgewachsen. Seine Haut war braun und leicht gelbstichig, was gut zu seinen festen, dunkelbraunen Locken passte, die sein scharfgeschnittenes Gesicht mit den Kiemen umgaben. Seine Kiemen zogen sich weiter in die Gesichtmitte hinein, als dies bei River der Fall war – hätte man eine Linie von seinen Pupillen herunter gezogen, hätte man wohl die Spitze der drei Kiemen getroffen.
Der Marianer kreuzte unseren Weg schnell, aber ohne Eile. Sein Blick ruhte nur für den Bruchteil einer Sekunde auf uns. »Prinz …« Er nickte mit steifer Höflichkeit in Richtung River, bevor sein Blick mich mit leichter Verwirrung streifte. Dann war er schon wieder verschwunden.
»Hat er zu viel Ehre, um sich zu wundern, wer ich bin?«, wollte ich von River leise wissen.
»Sein Name ist Dracion. Ich kenne ihn schon mein Leben lang. Klatsch und Tratsch des Hofes interessieren ihn nicht, wenngleich er als Kommandeur der Leibwächter Hippolytas sehr nah an der Wurzel des Geschehens ist«, erklärte dieser mir.
»Dracion – hieß so nicht auch der Marianer, der Azulamar gegründet hat?«
Überrascht grinste River mich an. »Das hast du dir gemerkt?«
»Ja, natürlich.«
»Nun, selbst nach fünfhundert Jahren ist Dracion noch immer ein beliebter Name. Er ist einfach – Mode in Azulamar, verstehst du?«
»Also gibst du zu,
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