Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
Befanden wir uns bereits im Auge des Sturms? Oder war er noch gar nicht über uns hinweggefegt?
»River …«, sprach ich seinen Namen aus. Er antwortete nicht.
Langsam wurde mein Atem gleichmäßiger. Ich schloss die Augen, hielt das Bild von River aber weiterhin fest vor meinem Geist. Ich klammerte mich beim Einschlafen daran fest so wie an Rivers Hand.
Wir fuhren den ganzen nächsten Tag, und die Sonne war schon wieder dabei, unterzugehen, als wir die Stadt erreichten, in der mein Vater nun wohnte. Sie lag ebenfalls an der Küste, wie sollte es auch sonst sein bei einem Meeresbiologen?
Wir waren zuerst einfach nur aus Melbour rausgefahren, ohne wirklich auf die Richtung zu achten, und mussten nun eine Schleife machen. Dadurch verloren wir Zeit, aber vielleicht lenkte es Gregory sogar ein wenig ab oder verwirrte ihn, wenn er uns tatsächlich so direkt verfolgte. Wir nahmen die unmöglichsten Wege, mieden die schnellsten Straßen, und seltsamerweise machte River auch viele Pausen, als ob er daran dachte, dass Gregory vielleicht berechnete, wie schnell wir vorankommen würden.
Mein Vater war nach der Trennung von meiner Mutter nach Oceanside gezogen, einer sehr, sehr schönen Stadt in San Diego County. Er lebte am Rande der Stadt, fast schon außerhalb, wo ich ihn schon einmal besucht hatte. Lange hatte ich es dort nicht ausgehalten; zwar waren die Shoppingmöglichkeiten klasse gewesen, aber das kleine Haus meines Vaters war dann doch nicht das gewesen, was ich mir vorgestellt hatte.
Aber als wir nun endlich vor dem Haus hielten, hatte ich das Gefühl, nie einen schöneren Ort gesehen zu haben.
Sicherheit.
Wir waren endlich in Sicherheit …
River und ich stiegen aus, und ich lief vor, um zu klingeln.
Einmal, zweimal, dreimal.
Und noch immer keine Reaktion.
»Vielleicht ist er Einkaufen gefahren.«
»Es ist Sonntag«, erwiderte ich leise.
Ich klingelte erneut und in diesem Moment hörte ich nur: »Ich kaufe nichts, was immer es ist! Ich habe eine Versicherung, einen Staubsauger und einen guten Telefonanschluss!«
Ich musste unfreiwillig lachen. Das war typisch …
»Ja«, knurrte ich, ohne es böse zu meinen. »Du hast auch eine Tochter.«
Einen Augenblick lang passierte gar nichts, bevor mein Vater die Tür einen Spalt breit öffnete.
»Du kannst gar nicht meine Tochter sein«, sagte er. »Sie ist ungefähr einen halben Meter kleiner als du.«
Ich lachte. »Wir werden alle älter, Dad.«
Endlich zog er die Tür ganz auf, und ich konnte einen Blick auf meinen Vater werfen, bevor wir uns in die Arme fielen. Er hatte dunkelblondes, kurzgeschnittenes Haar, in dem die grauen Strähnen und die weißmelierten Schläfen kaum auffielen. Insgesamt wirkte es aber deutlich heller als noch vor ein paar Jahren. Seine Augen waren graugrünblau, irgendeine derartige Mischung. Ihre Mandelform war angedeutet, aber nicht so stark ausgeprägt wie bei mir; trotzdem behauptete ein Großteil der Fremden, die uns zusammen sahen, dass wir uns sehr ähnlich sahen.
Das musste irgendwas mit der Koordination unserer Nasen, Augenbrauen und Lippen zu tun haben.
»Ich hab dich so vermisst, Bär«, murmelte er, während er mich an sich drückte.
»Ich dich auch, Dad«, antwortete ich. Nun fiel mir auf, dass er in der einen Hand einen Kaffee in einer ziemlich abgenutzten Tasse hielt, auf der rote Herzchen zu sehen waren – ein Überbleibsel aus seiner Ehe mit meiner Mutter. Mein Vater trug einen leicht zerknitterten, legeren Anzug und eine nachlässig gebundene Krawatte, was bedeutete, dass er den ganzen Tag und die vergangene Nacht durchgearbeitet hatte.
»Gott, du siehst furchtbar aus!«, rief ich. »Ist der Kaffee wenigstens noch warm?« Ich berührte die Tasse – sie war eiskalt.
»Danke, du hast dich auch nicht verändert«, brummte mein Vater unwillig.
»Dad! Hab ich dir nicht letztes Mal gesagt, dass du dich etwas mehr schonen sollst?«, fragte ich vorwurfsvoll.
»Ich bin eben in einer ungesunden Phase, na und?«, erwiderte er leicht grinsend, bevor sein Blick schließlich auf River fiel, der mit einer Mischung aus Amüsiertheit und peinlicher Berührtheit hinter mir stand.
»Das ist River, Papa. River, das ist mein Vater Tom Gibbs«, stellte ich die beiden rasch einander vor und beobachtete gespannt, wie sie sich die Hände schüttelten.
»River und ich sind seit einiger Zeit zusammen.«
»Ach, so ist das«, sagte Tom.
Ich musste ein Grinsen unterdrücken: Er hatte damit exakt das gesagt, was auch meine
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