Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich mein Leben riskieren würde, um River zu befreien.
Ich griff nach der Karte, schob sie in den Schlitz, und hörte, wie sich die Tür von selbst entriegelte. Ich drückte sie auf, sie schwang zu Seite und endlich stand ich vor River. »River!«, rief ich seinen Namen, fiel neben ihm auf die Knie, nahm sein verwundetes Gesicht in meine Hände und rief immer wieder: »River! Oh Gott, wach auf! Bitte! River, ich bin hier! Ashlyn!«
Einige Zeit lang passierte überhaupt nichts, dann zuckten seine Augen unter den Lidern, die er schließlich blinzelnd hob.
Mich blickten zwei schwarze Augen an, dunkel und ohne Glanz. Sie waren matt, ausgebrannt von dem, was er in den letzten Tagen erlitten hatte. Er wirkte ausdruckslos und benommen, aber er zeigte zumindest eine Regung von Leben.
»Wer bist du?«, fragte er heiser.
Seine Stimme war nicht mehr die, die ich kannte. Sie war schwach und gebrochen. River war nur noch ein Schatten seiner selbst.
»Ashlyn«, flüsterte ich unter Tränen. »Du musst mich doch erkennen …«
»Ich erinnere mich«, sagte River und drehte sein Gesicht weg. Die Lider senkten sich wieder über seine schwarzen Augen.
»Ich habe dich in den letzten Tagen so oft zu mir gewünscht … Bin ich schon tot, dass ich dich sehe? Du bist ein Traum. Ein wunderschöner Traum …«
Seinen Augenwinkeln entwich eine glasklare Träne, die über seine staubige Wange rann und eine saubere Spur in das Blut zeichnete.
»River … Was hat man dir nur angetan?«
Doch er antwortete nicht mehr. Zwar konnte ich sehen, dass er immer noch wach war, aber River schien sich damit abgefunden zu haben, dass ich nur eine Illusion war, wie er glaubte.
»Ich muss dich von diesen Ketten losmachen, dann werden wir fliehen und niemand wird uns je wieder trennen …«
Innerlich unwillig löste ich mich ein Stück von ihm, um seine Ketten genauer zu begutachten. Sie waren nicht besonders lang, da sie extra angebracht wurden, um River in der unangenehmen Haltung zu belassen. Aber sie waren massiv und konnten nur mit einem Schlüssel geöffnet werden. Und ich war mir sicher, dass Gregory den Schlüssel bei sich trug.
Es blieb mir nur eines übrig – ich musste auch diese Ketten aufschießen, oder irgendetwas holen, womit ich sie zerstören konnte.
»Ich bin gleich wieder da, River, ich suche etwas, was ich benutzen kann, um –«
»Nein! Bleib! Du bist mein Traum, und ich bitte dich, hierzubleiben … Nur so kann ich – die nächsten Tage überstehen … Bleib bei mir …«, protestierte nun River, zwang sich selbst, die Augen zu öffnen.
»Ich bin kein Traum. Ich bin Realität …«, wisperte ich, während mir die Zeit zwischen den Fingern zerrann. Ich durfte nicht zögern, nicht zaudern, musste endlich weitermachen, sonst würde Ribbon noch davon ausgehen, dass ich ebenfalls gefangen genommen worden war.
»Warum weinst du dann? Du hast mich doch dann gefunden, wenn du wirklich Realität bist …«, murmelte River und machte einen verwirrten Gesichtsausdruck.
Ich lachte und schluchzte gleichzeitig. Es war unter dem fast zerstörten Mann, den ich vor mir hatte, immer noch der River, den ich liebte, weil er mir mit grimmigem Spott begegnete, weil er mich zum Lachen brachte und weil er die Ehrlichkeit in jeder erbarmungslosen Situation vorzog.
Eine spontane Idee kam mir, und ich setzte sie sogleich in die Tat um. Warum ich es machte, weiß ich heute nicht mehr; es war reiner Instinkt.
Eine Träne der Persephone …
Ich griff nach der Kette mit dem Viorev-Stein, streichelte einen Moment über die Kiemen Rivers und sorgte dann dafür, dass er mit den Lippen den Anhänger berührte.
River sog scharf die Luft ein und ein Beben ging durch seinen Körper. Seine Lider flatterten, dann wurde sein Körper plötzlich wieder ruhig. Er schlug die Augen auf, und jetzt war das Schwarz zu einem tiefen Mitternachtsblau geworden.
Dunkel, aber mit einem unverkennbaren Schimmer.
Er war wieder da.
River war wieder da.
»Ashlyn«, sagte er leise.
Mehr konnte er nicht sagen, denn schon verschloss ich seine Lippen mit einem Kuss. Am liebsten hätte ich nie wieder aufgehört, ihn zu küssen, doch eine stählerne Stimme durchschnitt die Stille.
»Dummes Mädchen.«
Ich riss mich von River los, wirbelte herum und blickte in Gregorys eisgraue Augen. Hinter ihm kam nun auch Skelter zum Vorschein.
»Dummes Mädchen!«, sagte er noch einmal. »Ich dachte, dir wäre ein wenig klarer geworden, dass ich
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