Azurblaue Gewalt (Carla, John und Franklyn)
und hielt die Hände in die Hüften gestemmt. Von dort dirigierte sie die Bewegungen und auch die Qual des Angreifers. Es war ein herrliches Gefühl der Genugtuung, endlich einmal einem bösen Mann eins auswischen zu können, ohne dass man selbst dabei verletzt werden konnte.
Es waren mittlerweile weitere Passanten auf dem Bahnsteig eingetroffen. Teilweise hatten sie miterlebt, was der Jugendliche mit der alten Dame veranstaltet hatte. Leider lag es oft in der Natur der Menschen, sich aus derartigen Zwischenfällen herauszuhalten. Zivilcourage war bei ihnen nicht gerade großgeschrieben. Also beobachteten sie nur, taten aber nichts, um zu helfen. Sie mussten lachen, als sie sahen, dass sich der Mann scheinbar ohne jeglichen Grund auf dem Boden herumwälzte und schrie. Es sah aus, wie ein perfekt inszeniertes Theaterstück. Was sie jedoch nicht wussten, war, dass er erhebliche Schmerzen erlitt. Ein Mann vermutete sogar, dass es sich um einen Test mit einer versteckten Kamera handelte. Sicher wollte nur wieder ein Fernsehsender herausfinden, wie sich Passanten verhalten, wenn ein Halbstarker eine alte Frau schlecht behandelt. Um aber nicht vor der Kamera zu stehen griff er auch gar nicht erst ein.
Sally hingegen empfand Wut. Große Wut. Also holte sie erneut aus und injizierte ihm einen weiteren, heftigen Impuls. Für den Mann bedeutete dieser Stromschlag einen Schlag mitten ins Gesicht. Sein Kopf flog nach hinten, als er den imaginären Treffer zwischen die Augen bekam. Brüllend hielt er sich den Kopf fest. Beide Hände hielt er fest auf die Augen gepresst.
Die Passanten hingegen mussten nun noch heftiger l achen. Niemand konnte ahnen, dass er tatsächlich Qualen erlitt. Es schien ihnen, als wäre alles nur eine hervorragend inszenierte Darstellung eines Mannes, der gerade verprügelt wurde. Wie ein Wurm, der in der Sonne austrocknete, wand er sich auf dem Boden. Nach dem finalen Schlag auf seine Nase war er endlich ohnmächtig und bewegte sich nicht mehr. Blut lief aus seiner Nase. Vermutlich hatte er sich selbst verletzt, indem er mit dem Kopf heftig auf den Boden geschlagen war, ohne es zu wollen.
Die Passanten hingegen applaudierten. Die Darbietung war sehr reell. Sie riefen Kommentare wie prima Darsteller, hat er gut gemacht oder … und wo ist die Kamera?
Noch immer lachend stiegen sie in ihren Zug ein.
Als der Bahnsteig wieder menschenleer war, hatte die Dame es geschafft, in Sallys direkte Nähe zu gelangen. Bedingt durch ihre Gehbehinderung war sie nicht sehr schnell auf den Beinen unterwegs. Eine Flucht vor dem Mann wäre somit für sie ausgeschlossen gewesen.
„Dieser verrückte Mann wollte mir die Handtasche stehlen. Ich habe ihm auf den Kopf geschlagen“, fant asierte sie. „Jetzt kann er sich nicht mehr bewegen. Er hat es nicht anders verdient, dieser Räuber. Hast du gesehen, Kindchen, so macht man das mit bösen Menschen!“
Sally musste grinsen, denn die Erzählungen der Dame entsprachen nicht wirklich den Tatsachen. „Sie haben das hervorragend gemacht. Sie waren unglaublich mutig. Ich kann bezeugen, dass es sich um Notwehr handelte. Wenn sich jeder so wehren könnte, wie Sie, hätten wir keine Verbrechen mehr auf dieser Welt. Die bösen Menschen würden sich nicht mehr trauen, uns Schwächere anzugre ifen.“
„Geh hin zu dem Mann, du kannst ihn dir gern ans ehen. Er liegt da wie ein Häufchen Elend. Auch die anderen haben gesehen, dass er keine Chance gegen mich hatte. Der wird mich nie wieder belästigen!“ Sie stampfte mit ihrem Krückstock auf den Boden, um ihren Worten den nötigen Nachdruck zu verleiten. So, und jetzt gehe ich ins nächste Café und trinke erst mal einen Schnaps. Ich gebe einen aus, komm mit.“
„Nein danke, ich muss gleich arbeiten. Aber wir be iden sehen uns gemeinsam an, was Sie mit ihm veranstaltet haben.“
Daraufhin gingen d ie beiden langsam, aber zielstrebig zu dem Angreifer. Er war wieder erwacht, konnte aber noch immer nicht aufstehen.
„Du Flegel! Wag es noch einmal, mich zu belästigen. Wenn ich dich noch ein einziges Mal hier auf dem Bah nsteig erwische, wie du alte Damen belästigst, haue ich dich windelweich. Du wirst für Wochen nicht mehr laufen können!“, schimpfte sie und stieß ihm ständig mit ihrem Krückstock in die Seite.
Die Peinlichkeit, vor einer alten Frau zu liegen und zu jammern war schon schlimm genug. Dass sie aber mit dem Krückstock auch noch auf ihrem vermeintlichen Opfer herumstocherte, setzte der Situation noch die
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