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Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
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protestiert der Mann. »Ich kannte diesen Menschen dort, als er noch auf Erden lebte, und da war er bloß ein Schuster.«
    »Das weiß ich«, sagt Petrus. »Aber wäre er General gewesen, dann wäre er der größte von allen gewesen.«
    Wir alle sollten auf Schuster achtgeben, die vielleicht große Generäle gewesen wären. Das heißt, wir sollten unser Augenmerk auf introvertierte Kinder richten, deren Talente allzu oft verkümmern, sei es zu Hause, in der Schule oder auf dem Spielplatz.
    Die folgende Geschichte, die zum Nachdenken anregt, erzählte mir Dr. Jerry Miller, Kinderpsychologe und Leiter des »Center for the Child and the Family« an der Universität Michigan. Dr. Miller hatte einen Patienten namens Ethan, mit dem seine Eltern im Laufe der Zeit viermal in seiner Sprechstunde vorstellig wurden. Jedes Mal äußerten sie die Angst, dass mit ihrem Kind etwas ganz und gar nicht stimme. Jedes Mal versicherte ihnen Dr. Miller, dass Ethan völlig in Ordnung war.
    Ihre ursprüngliche Besorgnis war durch einen simplen Anlass ausgelöst worden. Als Ethan sieben war, hatte sein vierjähriger Bruder ihn mehrmals verprügelt, ohne dass Ethan sich gewehrt hatte. Seine Eltern – beides kontaktfreudige, zupackende Menschen in hoch dotierten Positionen und mit einer Leidenschaft für Golf- und Tennisturniere – hatten gegen die Aggression ihres jüngeren Sohnes nichts einzuwenden, hatten aber die Sorge, dass Ethans Passivität »kennzeichnend für sein Leben werden könnte«.
    Als Ethan älter wurde, versuchten seine Eltern vergeblich, ihm »Kampfgeist« einzuflößen. Sie schickten ihn zum Baseball und Fußball, doch Ethan wollte nur nach Hause und lesen. Nicht einmal in der Schule konkurrierte er mit anderen. Trotz seiner großen Intelligenz war er nur ein mittelmäßiger Schüler. Er hätte besser in der Schule sein können, konzentrierte sich aber lieber auf seine Hobbys, besonders auf den Bau von Modellautos. Er hatte einige enge Freunde, war aber nie voll in die Klassengemeinschaft integriert. Da seine Eltern sich sein seltsames Verhalten nicht erklären konnten, glaubten sie, ihr Sohn sei vielleicht depressiv.
    Doch bei Ethans Problem handelte es sich nach Ansicht von Dr. Miller nicht um eine Depression, sondern um einen klassischen Fall dessen, was Psychologen eine ungünstige »Eltern-Kind-Passung« nennen. Ethan war groß, mager und unsportlich und hatte das Aussehen eines typischen Sonderlings. Seine Eltern waren gesellige, selbstbewusste Menschen, die »immer lächelten und sich mit anderen unterhielten, während sie Ethan im Schlepptau hatten«.
    Im Gegensatz zu ihnen schätzte Dr. Miller Ethan ganz anders ein. »Er war das klassische Harry-Potter-Kind – er hatte immer ein Buch bei sich«, sagt Dr. Miller begeistert. »Er hatte viel Fantasie. Er baute gern und hatte so vieles, von dem er einem erzählen wollte. Seine Eltern akzeptierte er mehr als sie ihn. Er definierte sie nicht als krank, sondern nur als anders als er. In einem anderen Elternhaus hätte derselbe Junge als Vorzeigekind gegolten.«
    Aber Ethans Eltern konnten ihn nicht in diesem Licht sehen. Das Letzte, was Dr. Miller hörte, war, dass die Eltern schließlich einen anderen Psychologen gefunden hatten, der sich bereit erklärte, ihren Sohn »zu behandeln«. Und jetzt macht sich Dr. Miller Sorgen um Ethan.
    »Das ist ein eindeutiger Fall eines sogenannten iatrogenen Problems«, sagte er, »also einer krank machenden Behandlung. Das klassische Beispiel ist, wenn Sie einen Homosexuellen mithilfe einer ärztlichen Behandlung in einen Heterosexuellen verwandeln wollen. Aber auch um dieses Kind mache ich mir Sorgen. Die Eltern sind sehr fürsorglich und meinen es gut. Sie glauben, ihr Sohn sei ohne Behandlung nicht fit für das Leben in der Gesellschaft, er brauche mehr Biss. Vielleicht stimmt Letzteres sogar ein wenig; ich weiß es nicht. Aber wie auch immer, ich bin der festen Ansicht, dass es unmöglich ist, dieses Kind zu ändern. Ich habe die Sorge, dass sie einen vollkommen gesunden Jungen behandeln und dabei sein Selbstbewusstsein beschädigen.«
    Wenn extravertierte Eltern ein introvertiertes Kind haben, muss eine ungünstige Eltern-Kind-Passung nicht zwangsläufig die Folge sein. Nach Dr. Millers Auffassung können alle Eltern mit ein wenig Achtsamkeit und Verständnis mit jeder Art von Kind gut harmonieren. Eltern müssen sich jedoch von ihren eigenen Vorlieben freimachen und sich anschauen, wie die Welt aus der Sicht ihrer stillen

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