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schlimmer kommen. Es gibt eine Personengruppe (in der Regel handelt es sich dabei um Finanztheoretiker), die nicht etwa ihr Handeln ihrem Gehirn anpassen, sondern umgekehrt ihr Denken von ihrem Handeln leiten lassen. Sie manipulieren im Nachhinein unwissentlich Statistiken, um ihr Handeln zu begründen. In meinem Beruf belügen sie sich mit statistischen Argumenten, nur um ihre Optionsverkäufe zu rechtfertigen.
Was ist weniger unangenehm: hundert Mal einen Dollar zu verlieren oder einmal 100 Dollar? Eindeutig Letzteres: Unsere Verlustsensibilität nimmt ab. Wenn eine Handelsposition, die lange einen Dollar pro Tag einbringt, anschließend alles verliert, ist das aus hedonischer Sicht eigentlich angenehm, obwohl es wirtschaftlich keinen Sinn ergibt. Also besteht ein Anreiz, eine Geschichte über die Wahrscheinlichkeit der Ereignisse zu erfinden und eine solche Strategie umzusetzen.
Hinzu kommt noch der Faktor Risikoignoranz. Wissenschaftler haben Menschen Tests unterzogen – was ich im Prolog als Risikoübernahme aus Unterschätzung der Risiken anstatt infolge von Mut bezeichnete. Die Probanden wurden gebeten, eine obere und untere Bandbreite für zukünftige Wertpapierkurse zu prognostizieren, innerhalb deren sie das Wertpapier zu 98 Prozent erwarteten. Die Verletzungen der Bandbreite waren natürlich sehr hoch, bis zu 30 Prozent.
Solche Verletzungen ergeben sich aus einem weitaus gravierenderen Problem: Menschen überschätzen ihr Wissen und unterschätzen die Wahrscheinlichkeit ihrer Fehlannahmen.
Ein weiteres Beispiel zur Veranschaulichung der Optionsblindheit: Was ist mehr wert? a) Ein Kontrakt, bei dem man eine Million Dollar erhält, wenn die Aktienkurse an einem beliebigen Tag im nächsten Jahr um zehn Prozent fallen, oder b) ein Kontrakt, bei dem man eine Million Dollar erhält, wenn die Aktienmärkte an einem beliebigen Tag im nächsten Jahr aufgrund eines Terrorangriffs um zehn Prozent fallen. Ich schätze, dass die meisten Menschen auf b) tippen würden.
Wahrscheinlichkeiten und Medien (noch mehr Journalisten)
Ein Journalist wird in seiner Ausdrucksweise geschult, nicht darin, Themen tiefsinnig zu ergründen – der Selektionsprozess begünstigt die kommunikativsten Vertreter dieser Zunft, nicht notwendigerweise die kenntnisreichsten. Meine Freunde, die den Arztberuf gewählt haben, behaupten, dass viele medizinische Journalisten weder Medizin noch Biologie richtig verstehen und häufig ganz grobe Schnitzer machen. Ich kann solche Aussagen nicht bestätigen, da auch ich in der medizinischen Forschung nur ein Laie bin (wenngleich auch bisweilen ein unersättlicher Leser), doch ist mir aufgefallen, dass die Journalisten bei der Vorstellung medizinischer Untersuchungen fast immer Wahrscheinlichkeiten missverstehen. Am häufigsten werden Beweise falsch interpretiert. In den allermeisten Fällen werden nicht vorhandene Nachweise mit dem Nachweis des Nichtvorhandenseins verwechselt – ein ähnliches Problem, wie wir es in Kapitel 9 erörterten. Wie manifestiert sich diese Verwechselung? Nehmen wir an, ich teste eine Chemotherapie, beispielsweise Fluorouracil gegen Lungenkrebs, und stelle fest, dass sie marginal besser ist als ein Placebo und (neben anderen Modalitäten) die Überlebensrate von 21 auf 24 Prozent erhöht. Angesichts meiner Stichprobengröße bin ich mir nicht unbedingt sicher, dass diese zusätzlichen drei Prozentpunkte wirklich auf dieses Medikament zurückzuführen sind. Es könnte sich einfach nur um ein zufälliges Ergebnis handeln. Ich würde in einem Artikel meine Resultate beschreiben und betonen, dass es (bislang) noch keinen vollständigen Nachweis für eine bessere Überlebensquote dank dieses Medikaments gibt und dass weitere Forschungen nötig sind. Ein Medizinjournalist würde das lesen und daraufhin behaupten, Professor N.N. Taleb habe den Nachweis erbracht, dass Fluorouracil nicht hilft, was das genaue Gegenteil dessen ist, was ich mitteilen wollte. Ein naiver Arzt irgendwo in Dingsda, der Wahrscheinlichkeiten noch weniger versteht als der ungebildetste Journalist, würde das lesen und das Medikament unterbewusst ablehnen, selbst wenn andere Forscher eines Tages neue Belege dafür finden, dass diese Therapie zu einem klaren Überlebensvorteil führt.
CNBC zur Mittagszeit
Die Einführung des Finanzfernsehsenders CNBC bot Börsenprofis viele Vorteile, gab aber zugleich auch einer bunten Truppe extrovertierter Spezialisten mit ambitionierten Theorien die Chance, sich in
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