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Der Fahrer vom Vortag war spurlos verschwunden; vielleicht hatte man ihn ja in sein Heimatland deportiert. Schade, dachte ich bei mir, denn ich verspürte den unerklärlichen Wunsch, ihm für den Gefallen zu danken, den er mir erwiesen hatte, und ihn mit einem gewaltigen Trinkgeld zu überraschen. Dann erwischte ich mich dabei, wie ich den neuen Taxifahrer anwies, mich zur nordöstlichen Ecke der 52. Straße und der Park Avenue zu fahren – genau zu der Stelle, an der ich am Vortag abgesetzt worden war. Meine eigenen Worte entsetzten mich ... aber es war bereits zu spät.
Als ich mich im Spiegel des Aufzugs betrachtete, dämmerte mir, dass ich genau die gleiche Krawatte trug wie am Vortag – mit den Kaffeeflecken vom gestrigen Tumult (meine einzige Sucht ist der Kaffee). Da war etwas in mir, das offensichtlich an eine starke Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen dem von mir benutzten Eingang, der Wahl meiner Krawatte und dem Verhalten des Devisenmarktes am Vortag glaubte. Es bestürzte mich, dass ich mich wie ein Betrüger verhielt, wie ein Schauspieler, der eine Rolle spielte, die ihm gar nicht zustand. Ich kam mir wie ein Hochstapler vor. Einerseits sprach ich wie jemand mit strengen wissenschaftlichen Standards, ein Probabilist, der sich auf sein Handwerk konzentriert. Auf der anderen Seite war ich nicht minder abergläubisch als die hemdsärmeligen Pit-Trader. Würde ich als Nächstes ein Horoskop kaufen?
Nachdem ich etwas nachgegrübelt hatte, erkannte ich, dass mein Leben bis dahin von leichten Formen des Aberglaubens regiert worden war – obwohl ich Optionsexperte, leidenschaftsloser Wahrscheinlichkeitsberechner und rationaler Börsenhändler bin! Es war nicht das erste Mal, dass ich mich von einem harmlosen, leichten Aberglauben leiten ließ. Meiner Ansicht nach war dies auf meine Wurzeln im östlichen Mittelmeer zurückzuführen: Man nimmt einer anderen Person keinen Salzstreuer aus der Hand, weil man sich sonst mit ihr verkrachen könnte; man klopft auf Holz, wenn einem jemand ein Kompliment macht – um nur einige der vielen levantinischen Aberglauben zu nennen, die über mehrere Dutzend Jahrhunderte überliefert worden sind. Aber wie so viele Dinge, die um den antiken Teich herum blühen und gedeihen, hatte ich diesen Aberglauben abwechselnd mit feierlichem Ernst und Misstrauen betrachtet. Wir sahen sie als Rituale, nicht als wahrhaft wichtige Handlungen, die unerwünschte Schicksalsschläge durch die Göttin Fortuna abwehren sollten. Aberglaube kann dem Alltag eine gewisse Poesie verleihen.
Besorgnis erregend war jedoch die Tatsache, dass ich nun zum ersten Mal in meinem Leben bemerkte, wie sich der Aberglaube in mein Berufsleben einschlich. Meine berufliche Aufgabe besteht darin, eine Versicherungsfunktion zu spielen, rigoros Wahrscheinlichkeiten auf der Basis klar definierter Methoden zu berechnen und anderen Menschen gegenüber einen Vorteil zu erzielen, wenn sie weniger konsequent handeln, sich von »Analysen« blenden lassen oder nach der Überzeugung handeln, dass sie Auserwählte des Schicksals sind. Aber in meinem Beruf spielt der Zufall eine zu große Rolle.
Ich entdeckte, wie sich verstohlen eine ganze Menge der so genannten »Spielerticks« in mein Verhalten einschlichen, auch wenn sie winzig und kaum erkennbar waren. Bis dahin waren mir diese kleinen Marotten nicht aufgefallen. Mein Geist schien pausenlos zu versuchen, eine statistische Verbindung zwischen meiner Mimik und dem Ergebnis von Ereignissen herzustellen. So begann mein Einkommen zu steigen, nachdem ich herausgefunden hatte, dass ich leicht kurzsichtig war und eine Brille zu tragen begonnen hatte. Obwohl die Brille nicht unbedingt nötig war und mir außer bei nächtlichen Autofahrten nicht einmal viel nutzte, trug ich sie auf der Nase, als würde ich an eine Verbindung zwischen meiner Performance und meiner Sehhilfe glauben. Rein verstandesmäßig wusste ich, dass eine solche statistische Assoziation aufgrund der winzigen Stichprobe (hier ein einziger Fall) gar nicht wahr sein konnte, doch mein Wissen in der Überprüfung von Hypothesen schien diesem angeborenen statistischen Instinkt nichts entgegensetzen zu können.
Glücksspieler entwickeln häufig merkwürdige Verhaltensweisen, weil sie eine pathologische Verbindung zwischen dem Ausgang einer Wette und irgendeiner körperlichen Bewegung herstellen. »Spieler« ist wohl die abfälligste Bezeichnung schlechthin für einen Derivatehändler wie mich. Nebenbei bemerkt
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