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Mensch, der seine Meinung deutlich kundtut, werde ich zur Zielscheibe der Kritik für etliche Finanzprofessoren und Ökonomen, die sich über meine Attacken bezüglich ihres falschen Umgangs mit Wahrscheinlichkeiten ärgern und denen es nicht passt, dass ich sie als Pseudowissenschaftler bezeichne. Wenn ich ihre Kommentare lese, kann ich meine Gefühle nicht im Zaum halten. Am besten lese ich ihre Veröffentlichungen gar nicht. Gleiches gilt auch für Journalisten. Wenn ich ihre Erläuterungen zum Börsengeschehen nicht lese, erspare ich mir viel emotionalen Kraftaufwand. Mit ungebetenen Kommentaren zu diesem Buch werde ich ebenso verfahren. Ich verschließe meine Ohren mit Wachs.
Wittgensteins Lineal
Welcher Mechanismus sollte Autoren dazu bewegen, Kommentare zu ihren Werken nicht zu lesen, sofern sie nicht explizit eine von ihnen intellektuell respektierte Person um Stellungnahme gebeten haben? Es handelt sich um eine probabilistische Methode namens »konditionale Information«: Sofern eine Aussage nicht aus einer äußerst qualifizierten Quelle stammt, gibt sie eher Aufschluss über den Sprecher selbst als über die intendierten Informationen. Dies gilt natürlich für subjektiv zu beurteilende Fragen. Eine – gute oder schlechte – Rezension kann eher ihren Verfasser beschreiben als Informationen über das besprochene Buch liefern. Diesen Mechanismus nenne ich auch Wittgensteins Lineal: Wenn man der Zuverlässigkeit eines Lineals nicht vertraut, kann man nicht nur einen Tisch mit einem Lineal messen, sondern umgekehrt den Tisch verwenden, um das Lineal zu messen. Je weniger Vertrauen man in die Verlässlichkeit des Lineals hat (der Prior in der Wahrscheinlichkeitslehre), desto mehr Informationen erhält man über das Lineal und desto weniger über den Tisch. Dies gilt für weitaus mehr als Informationen und Wahrscheinlichkeit. Die Konditionalität von Informationen spielt eine zentrale Rolle in der Epistemologie, Wahrscheinlichkeitstheorie und sogar in der Bewusstseinslehre. Erweiterungen werden wir an späterer Stelle im Zusammenhang mit dem »Zehn-Sigma-Problem« kennen lernen.
Daraus ergeben sich praktische Implikationen: Von einem anonymen Leser auf amazon.com eingestellte Informationen geben ausschließlich Auskunft über diese Person, während eine qualifizierte Quelle sich hundertprozentig auf das Buch konzentriert. In der Justiz gilt dies auch. Nehmen wir nochmals den Prozess gegen O.J. Simpson. Mit der Aussage »Da war nicht genug Blut« wollte einer der Geschworenen die statistische Evidenz der angebotenen Beweise beurteilen: Eine solche Äußerung sagt nur sehr wenig über statistische Evidenz aus, sondern eher etwas über die Fähigkeit des Sprechers, eine gültige Schlussfolgerung zu ziehen. Hätte es sich bei dem Geschworenen um einen gerichtsmedizinischen Gutachter gehandelt, hätte sich die Informationswaagschale in die andere Richtung geneigt.
Obwohl eine solche Argumentation in meinem Denken eine zentrale Rolle spielt, weiß das leider nur mein Gehirn, nicht mein Herz: Mein emotionales System versteht Wittgensteins Lineal nicht. Dafür kann ich folgenden Beweis anführen: Ein Kompliment ist immer angenehm, ganz gleich, aus welcher Quelle es stammt – Manipulatoren wissen das recht gut. Ebenso verhält es sich auch mit Buchrezensionen oder Kommentaren zu meiner Risikomanagementstrategie.
Der stumme Befehl des Odysseus
Erinnern Sie sich, wie ich sagte, dass ich besonders stolz darauf bin, dass es mir gelungen ist, mich des Fernsehens und der Nachrichtenmedien zu entwöhnen. Das ist mir sogar so gut gelungen, dass Fernsehen für mich inzwischen anstrengender ist als jede andere Beschäftigung – wie etwa dieses Buch zu schreiben. Aber dazu musste ich mich einiger Tricks bedienen. Ansonsten hätte ich dem Gift des Informationszeitalters nicht entrinnen können. Im Trading Room meines Unternehmens läuft den ganzen Tag der Finanznachrichtensender CNBC, dessen Programme einen Kommentator nach dem anderen und eine endlose Reihe in Leichenstarre verfallener Firmenchefs zeigen. Was ist mein Trick? Ich habe den Ton ganz heruntergedreht. Der Grund: Ohne Ton wirken diese schwafelnden Personen lächerlich – genau der gegenteilige Effekt wie mit Ton. Man sieht einen Menschen, der die Lippen bewegt und seine Gesichtsmuskeln verzieht und sich dabei enorm aufplustert – aber es ist nichts zu hören. Wir werden zwar visuell, aber nicht akustisch eingeschüchtert, was eine Dissonanz hervorruft.
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