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Titel: B00BOAFYL0 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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gelernt haben. Wenn Wirtschaftswissenschaftler im Börsenhandel ein Fiasko erleben, sollte man meinen, dass sie diese Information in ihre Theorie einbauen und eine heldenhafte Erklärung abgeben, dass sie sich geirrt hätten, jetzt aber etwas über die Praxis gelernt haben. Falsch gedacht. Stattdessen beklagen sie sich über das Verhalten ihrer Gegenparteien auf den Kapitalmärkten, die wie Geier auf sie niederstießen und so ihren Fall nur noch schlimmer machten. Würden sie akzeptieren, was geschah (was eindeutig von Mut zeugen würde), wären die Ideen zunichte gemacht, die sich während ihrer gesamten akademischen Laufbahn entwickelt hatten. Alle Fondsmanager, die an Diskussionen über die Ereignisse um LTCM teilnahmen, trugen zu dieser Maskerade der Wissenschaft bei, indem sie Ad-hoc-Erklärungen abgaben und die Schuld einem seltenen Ereignis in die Schuhe schoben (was ein Induktionsproblem aufwirft: Wie konnten sie wissen, dass es sich um ein seltenes Ereignis handelte?). Sie verwendeten ihre Energie darauf, sich zu verteidigen, anstatt mit den gelernten Lektionen Geld zu verdienen. Vergleichen Sie diese Menschen wiederum mit Soros, der herumläuft und jedem, der die Geduld aufbringt, ihm zuzuhören, sofort erzählt, dass er fehlbar sei. Von Soros habe ich gelernt, zu Beginn jedes Meetings in meiner kleinen Tradingfirma alle Anwesenden darauf hinzuweisen, dass wir nichts als ein Haufen Dummköpfe sind, die nichts wissen und zu Fehlern neigen, aber zufällig auch das seltene Privileg genießen, uns dessen bewusst zu sein.
    Das Verhalten eines Wissenschaftlers angesichts der Widerlegung seiner Thesen wurde im Rahmen der so genannten »Attribution Bias« gründlich untersucht. Man schreibt seine Erfolge den eigenen Fähigkeiten zu, Misserfolge dagegen dem Zufall. Dies erklärt, warum diese Wissenschaftler ihr Scheitern auf das seltene »Zehn-Sigma-Ereignis« zurückführten. Damit implizieren sie, dass sie Recht hatten, aber das Glück sich gegen sie wandte. Der Grund: Eine menschliche Heuristik lässt uns dies glauben, damit wir unser Selbstwertgefühl nicht gänzlich verlieren und auch weiterhin gegen widrige Umstände ankämpfen.
    Wir kennen diese Kluft zwischen der Leistung und der eigenen Selbsteinschätzung seit Meehls Studien aus dem Jahr 1954, in denen er die wahrgenommenen und statistischen Fähigkeiten von Experten verglich. Sie zeigt eine beträchtliche Diskrepanz zwischen der objektiven Erfolgsbilanz in Prognoseaufgaben und dem aufrichtigen Glauben der Betreffenden an die Qualität ihrer Leistungen. Der Attribution Bias hat aber noch eine andere Wirkung: Er erweckt in Menschen die Illusion, sie seien besser in dem, was sie tun. Damit lässt sich erklären, warum 80 bis 90 Prozent von uns sich in vielen Dingen für besser als der Durchschnitt (und der Mittelwert) halten.

Von Beerdigung zu Beerdigung
    Ich beschließe dieses Kapitel mit einer betrüblichen Bemerkung über die Wissenschaftler, die sich den so genannten »Soft Sciences« verschrieben haben: Wissenschaft und Wissenschaftler werden häufig als ein und dasselbe betrachtet. Wissenschaft ist großartig, aber einzelne Wissenschaftler sind gefährlich. Als menschliche Wesen leiden sie unter typisch menschlichen Voreingenommenheiten. Vielleicht haben sie sogar noch mehr Vorurteile als Otto Normalverbraucher. Denn die allermeisten Wissenschaftler sind dickköpfig; andernfalls brächten sie gar nicht genug Geduld und Energie auf, die herkulischen Aufgaben zu erfüllen, die man ihnen abverlangt – etwa 18 Stunden am Tag an ihren Doktorarbeiten zu feilen.
    Ein Wissenschaftler mag sich gezwungen sehen, sich wie ein billiger Winkeladvokat vor Gericht und nicht wie ein reiner Wahrheitssucher zu verhalten. Eine Doktorarbeit muss vom betreffenden Doktoranden »verteidigt« werden; man wird nur selten Studenten sehen, die ihre Meinung ändern, wenn ihnen ein überzeugendes Gegenargument geliefert wird. Aber die Wissenschaft selbst ist besser als die Wissenschaftler. Man sagt, die Wissenschaft entwickle sich mit jeder Hypothese weiter, die zu Grabe getragen wird. Nach dem Zusammenbruch von LTCM werden neue Finanzökonomen auf der Bildfläche erscheinen, die in ihren Thesen die durch diesen Kollaps gewonnenen Erkenntnisse berücksichtigen. Die älteren Wissenschaftler werden sich ihnen widersetzen, aber schließlich sind sie dem Tag ihrer Beerdigung ja auch weitaus näher als ihre jüngeren Kollegen.

Kapitel 14
Bacchus verlässt Antonius
    Montherlants Tod.

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