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Titel: B00BOAFYL0 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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Stoizismus heißt nicht, alles mit Fassung zu tragen, sondern ist die Illusion des Sieges der Menschheit über den Zufall. Heidenhaftigkeit ist ganz leicht. Zufall und persönliche Eleganz.
    Als dem klassizistischen französischen Aristokraten und Schriftsteller Henry de Montherlant eröffnet wurde, dass ihm eine degenerative Krankheit sein Augenlicht rauben werde, hielt er es für das Beste, Selbstmord zu begehen. Das war ein passendes Ende für einen Klassizisten. Der Grund: Die Regel eines Stoikers lautet, dass man entscheiden muss, was man tun kann, um sein Schicksal angesichts eines zufälligen Ausgangs zu steuern. Am Ende darf man wählen zwischen dem Tod und dem, was das Schicksal für einen bereithält; wir haben somit immer eine Option gegen die Ungewissheit. Aber diese Einstellung beschränkt sich nicht auf Stoiker, beide wetteifernden Sekten der Antike, der Stoizismus und der Epikureismus, empfahlen, eine solche Kontrolle auszuüben (sie unterscheiden sich nur in kleineren technischen Details – keine der beiden Philosophien bedeutete damals, was die intellektuelle Durchschnittskultur heute darunter versteht).
    Heldentum setzt nicht unbedingt eine extreme Tat voraus – wie Tod auf dem Schlachtfeld oder Selbsttötung. Letzteres wird nur in eng begrenzten Umständen empfohlen und gilt ansonsten als feige. Kontrolle über den Zufall kann man in kleinen wie auch großen Taten zum Ausdruck bringen. Denken Sie daran, dass die epischen Helden nicht an ihren Ergebnissen, sondern an ihren Taten gemessen wurden. Ganz gleich, wie ausgeklügelt unsere Alternativen sind und wie gut wir die Chancen verstehen und beherrschen, der Zufall hat stets das letzte Wort. Als einzige Lösung bleibt uns die Würde, definiert als Umsetzung eines Verhaltensprotokolls, das nicht von den unmittelbaren Umständen abhängt. Es mag nicht der optimale Weg sein, ist aber gewiss derjenige, bei dem wir uns am besten fühlen. Erhabenheit unter schwierigen Umständen zum Beispiel. Oder die Entscheidung, sich bei niemandem Liebkind zu machen, ganz gleich, welche Belohnung uns winkt. Oder sich zu duellieren, um das Gesicht nicht zu verlieren. Oder einer potenziellen Partnerin, die man umwirbt, zu sagen: »Hör zu, ich bin bis über beide Ohren in dich verliebt, ja sogar besessen von dir, aber ich will nichts tun, was meine Ehre kompromittieren könnte. Wenn du mich also im Geringsten brüskierst, wirst du mich niemals wiedersehen.«
    In diesem letzten Kapitel wird der Zufall aus einer ganz neuen Perspektive beleuchtet: philosophisch, aber nicht im Sinne der harten wissenschaftlichen und epistemologischen Philosophie, die wir in Teil I im Zusammenhang mit dem Problem des schwarzen Schwans kennen lernten. Es handelt sich um eine archaischere, weichere Variante der Philosophie: die Empfehlungen der Antike, wie ein tugendhafter, würdevoller Mensch mit dem Zufall umgehen sollte. Damals gab es keine echte Religion (im modernen Sinn). Es sollte erwähnt werden, dass vor der Ausbreitung dessen, was man am treffendsten als mediterranen Monotheismus bezeichnen könnte, die antiken Völker nicht stark genug an ihre Gebete glaubten, um davon auszugehen, dass sie den Gang der Vorsehung beeinflussen konnten. Sie lebten in einer gefährlichen Welt voller Invasionen und Schicksalsschläge. Sie brauchten viele Rezepte zum Umgang mit dem Zufall. Ihre Überzeugungen werden wir als Nächstes skizzieren.

Anmerkungen zur Beerdigung von Jackie O.
    Wenn uns ein Stoiker besuchen würde, könnte das nachstehende Gedicht ihn gut beschreiben. Für viele (kultivierte) Freunde der Dichtkunst gehört Konstantinos P. Kavafy zu den größten Poeten aller Zeiten. Kavafy war ein griechischer Beamter aus Alexandria mit türkischem oder arabischem Nachnamen, der vor fast einem Jahrhundert in einer Mischung aus klassischem und modernem Griechisch wohlgesetzte Gedichte schrieb, die nichts mit den letzten fünfzehn Jahrhunderten westlicher Literatur gemein zu haben scheinen. Die Griechen betrachten ihn als eine Art Nationalhelden. Der Schauplatz der meisten seiner Gedichte ist Syrien (anfangs faszinierten mich daher vor allem seine griechisch-syrischen Gedichte), Kleinasien und Alexandria. Viele Menschen meinen, es würde sich lohnen, formelles, halbklassisches Griechisch zu lernen, nur um sich von seinen Gedichten verzaubern lassen zu können. Irgendwie entschädigt uns die feine Ästhetik dieser Stücke, die keinerlei Sentimentalität enthält, für die jahrhundertelange

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