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Ich stamme aus dem gleichen Landstreifen im östlichen Mittelmeer, in dem sich diese Geschichte zutrug. Meine Vorfahren erlebten innerhalb einer einzigen Generation Phasen extremen Überflusses und Zeiten schlimmster Armut, mit plötzlichen Kehrtwendungen, die Menschen in meinem Umfeld, die sich an stetige und lineare Verbesserungen erinnern, nicht für möglich halten (zumindest nicht zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches). Die Menschen um mich herum haben entweder (bislang) wenige Rückschläge in ihrer Familie erlebt (von der Weltwirtschaftskrise einmal abgesehen) oder verfügen generell nicht über genügend Geschichtsbewusstsein, um über Vergangenes nachzudenken. Für Menschen meines Hintergrundes – griechisch-orthodoxe Ostmittelmeeranrainer und Bürger des oströmischen Reiches (durch Invasion) – ist die Erinnerung an jenen traurigen Apriltag vor ungefähr 500 Jahren, als Konstantinopel durch den Einmarsch der Türken an den Rand der Geschichte gedrängt wurde und uns dieses Ereignis zu verlorenen Untertanen eines toten Imperiums machte, zu extrem wohlhabenden Minderheiten in der islamischen Welt (wenngleich mit äußerst prekärem Reichtum), geradezu fest in unserer Seele verankert. Darüber hinaus kann ich mich lebhaft an meinen eigenen würdevollen Großvater erinnern, einen ehemaligen stellvertretenden Premierminister und
Sohn eines stellvertretenden Premierministers (den ich niemals ohne Anzug gesehen habe), wie er in einer farblosen Wohnung in Athen residierte, nachdem sein Anwesen während des libanesischen Bürgerkrieges zerbombt worden war. Da ich die Verwüstungen des Krieges miterlebt habe, halte ich übrigens würdelose Verarmung für weitaus schlimmer als körperliche Gefahr (irgendwie erscheint es mir weitaus erstrebenswerter, in Würde zu sterben, als meine Existenz als Hausmeister zu fristen, und das ist einer der Gründe, warum mir finanzielle Risiken weitaus mehr zuwider sind als körperliche). Ich bin sicher, dass Krösus der Verlust seines Königreiches sehr viel härter ankam als die Gefährdung seines Lebens.
Historisches Denken hat einen wichtigen und keineswegs banalen Aspekt, der womöglich für die Finanzmärkte mehr gilt als alles andere: Im Gegensatz zu vielen »harten« Wissenschaften lässt die Geschichte keine Experimente zu. Irgendwie ist aber die Geschichte insgesamt mächtig genug, um auf mittlere bis lange Sicht rechtzeitig die meisten möglichen Szenarien zu liefern, so dass die Schurken letztendlich dem Untergang geweiht sind. Schlechte Börsengeschäfte holen einen irgenwann ein, heißt es häufig auf den Finanzmärkten. Wahrscheinlichkeitstheoretiker haben dafür eine hochgestochene Bezeichnung: Ergodizität. Vereinfacht gesagt umschreibt dieser Begriff, dass (unter bestimmten Bedingungen) sehr lange Realisierungspfade (Sample Paths) letztendlich einander gleichen. Die Eigenschaften eines sehr, sehr langen Realisierungspfades würden den Monte-Carlo-Eigenschaften des Durchschnitts kürzerer Pfade ähneln. Würde der Hausmeister mit dem Lottogewinn aus Kapitel 1 tausend Jahre leben, wird er wohl kaum weitere Ziehungen gewinnen. Wer trotz seiner Fähigkeiten Pech im Leben hat, wird eines Tages Erfolge einheimsen können. Der glückliche Narr, der in seinem Leben von der Göttin Fortuna profitiert hat, würde sich auf längere Sicht langsam dem Zustand eines weniger vom Glück begünstigten Idioten annähern. Jeder regrediert zu seinen langfristigen Eigenschaften.
Destilliertes Denken auf dem PalmPilot
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Journalisten, die mir ein Gräuel sind, betraten dieses Buch in Gestalt von George Will, der sich mit zufälligen Ergebnissen herumschlug. Im nächsten Schritt werde ich zeigen, wie mein Monte-Carlo-Spielzeug mich lehrte, destilliertes Denken zu bevorzugen. Darunter verstehe ich eine Denkweise, die auf den Informationen in unserem Umfeld beruht, aus denen das bedeutungslose, aber ablenkende Beiwerk herausgelöst wurde. Für den Unterschied zwischen Nebengeräuschen und Informationen bietet das Leitmotiv dieses Buches (Nebengeräusche haben mehr mit Zufall zu tun) eine Analogie: den Unterschied zwischen Journalismus und Geschichte. Ein kompetenter Journalist sollte seine Themen wie ein Historiker betrachten und den Wert seiner Informationen herunterspielen, indem er beispielsweise sagt: »Heute ging es mit den Kursen bergauf, aber das besagt nicht viel, da diese Entwicklung größtenteils auf Nebengeräusche zurückzuführen ist.«
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