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Titel: B00DJ0I366 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Ort, hier mit Igor. Sie sieht hinaus auf den Markt, wo das Leben seinen gemächlichen Gang nimmt. Schüler mit schweren Ranzen schlurfen über das Kopfsteinpflaster, ein Kamerateam positioniert sich vor dem Denkmal von Prinz Albert. Zwei Herren in Anzügen eilen auf die Sparkassenfiliale zu. Aus der Bratwurstbude kommt blauer Rauch. Alles wirkt wohlgegeordnet. Keine Unwägbarkeiten. Eine Stadt, die Sam kennt wie ihre Westentasche, in der sie sich wohlfühlt, weil sie weiß, wie das Leben hier tickt.
    Ausgenommen das Leben ihrer Familie.
    »Tja, ich habe sie also ins Hotel gebracht. Bin eine Weile bei ihr geblieben. Wir haben geredet. Das heißt, Victoria hat geredet. Wie ein Wasserfall. Über alles. Über Grace. Wie sie in Griechenland über die Klippe stürzte. Über John Carrick, von dem ich bisher ehrlich gesagt nicht den leisesten Schimmer hatte. Über irgendwelche Fotos. Über einen Betrug und über Großvater. Inzwischen habe ich mir einen Reim auf die Geschichte gemacht.«
    »Wirklich?« Sam sieht Igor nachdenklich an. Sie verspürt eine warme, unerwartete Zärtlichkeit. Vielleicht teilt sie mehr mit Igor, dem stillen, sperrigen Mann, der sich nicht in die Karten schauen lässt, der sein eigenes Ding macht, als ihr bisher bewusst war?
    »Nikolaj hat sich verlobt«, fügt Igor hinzu. »Das stößt unserer Mutter natürlich sauer auf.«
    »Verlobt?«
    »Ja, wusstest du das nicht? Ganz im Stillen. Er hat mich angerufen und alles erzählt.«
    »Nikolaj hat dich angerufen?«
    »Sam!« Igor lacht. Es ist ein dunkles, amüsiertes Lachen. »Du bist ein tüchtiges Mädchen, aber als Schwester manchmal etwas furchteinflößend.«
    »Ich? Furchteinflößend?« Etwas so Absurdes hat Sam selten gehört.
    »Na, du machst alles mit, tust, was man von dir verlangt, stehst immer auf der Seite der Eltern …«
    Ihr kleiner Bruder hat sich verlobt, und sie weiß nichts davon. Das tut weh.
    »Nimm’s nicht so schwer. Irgendwann machst du auch noch deinen eigenen Kram! Dann nehmen wir dich wieder ernst.«
    Es ist witzig gemeint, aber Sam schmerzt Igors Schnoddrigkeit. Sie hat versucht, alles richtig zu machen. All ihre Kraft investiert, um sämtlichen Erwartungen gerecht zu werden. Wenn sie nur daran denkt, wird ihr schlecht. Die sonntäglichen Friedhofsgänge. Die verplanten Wochenenden. Wie selbstverständlich ihr Vater davon ausgegangen ist, dass sie seine Affäre geheim hält. Und Nikolaj, der sie als Eisbrecher benutzte, um Trixi in die Familie einzuführen. Wenn sie all diese Energie in ihren Job investiert hätte, wäre sie garantiert längst festangestellte Designerin bei ihrem Label. Sam stöhnt leise. Sogar ihr Verhältnis zu Blanca hat sie versaut.
    »Sam?« Igors Stimme dringt durch das Dickicht an wütenden Selbstvorwürfen in ihrem Kopf. »Lass mal fünfe gerade sein. Keiner von uns hatte es leicht mit den Mays.«
    »Warum, Igor?« Sam starrt auf den Teller mit Ei und Speck, der vor ihr steht und langsam kalt wird. Sie schiebt ihn zu Igor hinüber. »Hier. Bitte.«
    »Es ist einfach eine schräge Konstellation. Alles begann mit Isaac. Dem Oberbefehlshaber. Der hat die Weichen gestellt.« Igor bestellt noch eine ganze Kanne Kaffee, die zweite Tasse hat er längst ausgetrunken. »Blanca kam gegen ihn nicht an. Sie tat, was sie konnte. Dass Isaac Grace bevorzugte und sie nach seinem Gutdünken zu formen versuchte, konnte sie nicht verhindern. Genauso wenig wie sie verhindern konnte, dass Mutter zu kurz kam. Sie tat alles, um sie zu fördern. Na, du weißt, wie es ausging. Und irgendwie lief das Ganze unter uns nach demselben Muster ab. Du als die Älteste hast die ganze Verantwortung aufgebrummt bekommen. Ich schaltete auf stur, und Nikolaj war der Brave. Analyse zutreffend?«
    »Ja. Schon.«
    »Es gibt in dem Spiel keine Schuldigen, Schwesterherz.«
    »Das vielleicht nicht.« Sam sieht der Bedienung zu, die eine Kanne Kaffee auf den Tisch stellt und fragend in die Runde schaut.
    »Danke«, sagt Igor knapp. Die Frau geht zum nächsten Tisch.
    »Aber«, macht Sam weiter, »ich habe zusehends das Gefühl, ich hätte mehr Gestaltungsspielraum gehabt. Und habe ihn nicht genutzt.«
    »Selbstvorwürfe helfen niemandem.«
    Sie sehen einander an. Igor hat helle Augen wie Victoria. Die Glatze lässt ihn irgendwie weicher wirken als die dünnen Strähnen, die er früher so knausrig kultivierte.
    »Hast du eine Freundin?«, fragt Sam plötzlich.
    »Weitere Fragen?«
    »Du willst es nicht sagen?«
    »Ist meine Sache.«
    Sie

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