B00DJ0I366 EBOK
Bester, ich würde sehr gerne … leider, leider habe ich einen Arzttermin.«
Seine Miene verdüstert sich noch mehr. Sie hat den Eindruck, er will irgendetwas loswerden, seinen Frust dem nächstbesten Kellner um die Ohren hauen. Und es kann nicht nur deswegen sein, weil sie wegfährt.
»Es ist wichtig.« Sie senkt den Blick und schenkt Loredan ein ebenso schüchternes wie verwegenes Lächeln. »Sie wissen ja, ich muss vorsichtig sein. Keine Experimente mehr mit der Gesundheit.«
»Nein. Die Gesundheit ist das höchste Gut«, doziert Loredan steif. Er trägt einen hellen Anzug und eine Seidenkrawatte in sanftem Grün. Den Stetson hat er auf den freien Stuhl neben sich gelegt.
Ist es nicht, denkt Eleni. Wenn Gesundheit das höchste Gut wäre, könnte sie einpacken. Sie ist nicht gesund; trotzdem war der kranke, der behinderte Teil ihres Lebens der bessere Teil. Bisher jedenfalls.
Das höchste Gut ist Selbstbestimmtheit, denkt sie. Deshalb wird sie heute Abend nach München fliegen und von dort nach Coburg weiterreisen.
Das Hotel hat sie im Internet gebucht. Schloss Hohenstein. Es klingt kühn und ritterlich. Sie erinnert sich an Hohenstein. War das nicht ein wüster Ort, ein verfallenes, verkommenes Plätzchen im Wald?
»Philadelphia?«, fragt Loredan.
»Ich halte es so kurz wie möglich.« Eleni nickt. Soll er glauben, sie reist über den großen Teich. »Ich melde mich bei Ihnen. Die europäischen Handys tun es leider nicht dort drüben.«
»Ja. Ja. Sicher.« Missmutig rührt er in seinem Cappuccino.
»Sind Sie mit etwas unzufrieden, Signor Loredan?«
Er zuckt die Achseln. »Ich hätte mir etwas mehr Presse zur Finissage gewünscht. Das ist alles.«
Eleni ist längst nicht mehr pressesüchtig. Sie winkt dem Kellner.
»Pressearbeit ist eine Sache, über die wir nach meiner Rückkehr sprechen sollten«, sagt Eleni. Sie zahlt. Loredan gerät ins Schwitzen, als er seine Brieftasche zückt.
»Diesmal geht es auf mich!« Eleni lächelt ihr strahlendstes Lächeln. Sie selbst hat Loredan angerufen und ein Treffen vorgeschlagen. Sie will ihn einlullen, ihn nicht gleich mit ihrem Plan, in Italien vor Anker zu gehen, konfrontieren. Es soll so aussehen, als wäre es seine Idee, wenn sie in Venedig bleibt. Eleni hat gefühlte Millionen Mal Menschen auf diese Art manipuliert.
»Machen Sie es gut!« Er springt auf und reicht ihr die Hand. Schenkt ihr ein Lächeln. »Ich wünsche Ihnen viel Inspiration!«
Eleni schafft den kurzen Weg zum Hotel zu Fuß. Sie schwitzt, als sie ankommt, und geht in ihre Suite, um zu duschen und sich für die Reise umzuziehen. Ein Wassertaxi bringt sie zum Flughafen. An der Anlegestelle holt ein Elektroauto sie mit ihrem Gepäck ab. Sie checkt ein, trinkt einen Espresso und blickt aus den Panoramafenstern. Die Serenissima liegt im Nachmittagsdunst. Boote tuckern gemächlich über das Lagunenwasser.
Ja. Hier würde sie gern leben. Ihren Lebensabend verbringen.
Aber jetzt ist sie nervös, denn sie kehrt an einen Ort zurück, von dem sie annahm, sie würde ihn nie wiedersehen.
Das Flugzeug braucht keine Stunde bis München. Das Wetter in Deutschland ist ebenso warm, nur nicht so drückend wie in Venedig. Sie nimmt ein Taxi und handelt einen Preis aus. Der Fahrer bringt sie nach Coburg. Sein Navigationsgerät führt sie mitten in den Wald.
»Sind Sie sicher, dass es hier ein Hotel gibt?«, fragt er gähnend.
Es ist dunkel mittlerweile, doch es handelt sich um diese silbrige, sommerliche Dunkelheit, die zwar erkennbar Nacht ist, aber nicht schwarz, nicht wirklich dunkel. Und die es in Italien nicht gibt, denkt Eleni.
Wie lange war sie nicht hier! Mehr als 30 Jahre!
»Die Adresse stimmt hundertprozentig«, sagt sie, während sie Hannas Nummer wählt.
»Eleni? Alles in Ordnung?«
»Ich bin fast am Ziel.«
»Du bist wirklich gefahren?«
»Ich musste es tun.«
»Sei vorsichtig. Soll ich kommen?«
»Kannst du denn?« Eleni ist sich nicht sicher, ob es ihr recht ist, wenn Hanna sie zur Vernissage begleitet. Wenn sie untergeht, dann bitte ohne Zeugen aus ihrem aktuellen Leben. Andererseits wäre es hilfreich, wenn sie nicht allein wäre. Wer kann schon wissen, wie alles ausgehen wird!
»Ich buche für morgen Abend. Die letzte Maschine von Hamburg nach Nürnberg geht um elf, glaube ich.«.
»Bis bald!«, verabschiedet sich Eleni.
Das Taxi pirscht nun eine schmale Straße hinauf. Links liegt ein Lokal. Viele hochpreisige Wagen parken davor. Eleni lässt das Fenster herunter.
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