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mich gerichtet.
„ Bitte Luisa“, sagte Melchior, „bitte komm zu mir.“
Aber ich wollte nicht kommen . Ich wollte lieber gehen. Um genau zu sein, ganz schnell verschwinden. Ich habe es nie verstanden, wenn sich Paare in aller Öffentlichkeit zu ihrer Liebe bekannten und arglose Mitmenschen an diesem rührseligen Kitsch teilhaben ließen. Ich stellte mir dann immer vor, wie die beiden sich wohl drei Jahre später gegenüber standen. Außerdem war es mir schleierhaft, wie man sich so wichtig nehmen und seine Gefühle ohne Gewissensbisse und völlig verklärt, zur Schau stellen konnte. Einfach peinlich, wenn Männer ihre auswendig gelernten Liebeserklärungen wie ein schlecht betontes Gedicht herunterstammelten und die Angebetete mit verwischter Wimperntusche entrückt zu ihrem Herzensbrecher wie zu einem himmlischen Naturwunder emporblickte.
Jetzt warfen sie sich noch schmachtende Blicke zu, ein paar Jahre später, waren es dann handliche Gegenstände, dachte ich dann immer. Und genau dieser Peinlichkeit setzte mich nun Melchior aus. Unter Umständen hatte er diese Vorführung gezielt eingesetzt, um mich zu nötigen.
„ Na geh schon!“, drängelte mich Melchiors Mutter, nahm mir mein Sektglas ab, an das ich mich so schön festgekrallt hatte und schubste mich in Richtung Bühne.
Und dann geschah genau das, vor dem ich mich wie eine Nichtschwimmerin vor dem Tauchbecken ängstigte. Ich trat auf mein Kleid, stolperte, verfing mich mit meinem Absatz in dem edlen Stoff und riss die Seitennaht des Kleides auf. Es wurde anstandshalber nicht gelacht, aber ich bildete mir ein, dass man sich genüsslich an meiner Schussligkeit weitete. Da half auch Melchors witziger Kommentar nicht mehr, „dass der Weg zum Glück manchmal recht holprig war.“
„ Wieso tust du mir das an? Das war nicht ausgemacht!“, flüsterte ich ihm verärgert zu.
Jedoch ging er nicht darauf ein. Er benahm sich wie ein Showmaster, der es gewohnt war, die dümmlichen Bemerkungen seiner Gäste mit einer galanten Geste auszubaden. Er küsste meine Hand , begab sich in die Hocke und hielt mir ein kleines Schmuckkästchen entgegen, indem sich mein grüner Smaragdring befand und offensichtlich als Verlobungsring gedacht war.
„ Steh bitte auf … bitte steh auf!“, beschwor ich ihn.
Aber Melchior schien sich in der Rolle des Liebesnarren wohler zu fühlen, als ich in der Rolle der Angebeteten.
„Liebe Luisa, du bist mir wertvoller als der prächtigste Smaragd ...“
„ Ich denke wertvoller als ein Diamant!“, unterbrach ich ihn kratzbürstig und brachte damit einige Zuschauer zum Lachen. Allerdings war es nicht meine Absicht mich über Melchior lustig zu machen. Ich wollte ihn nur verunsichern, um der Lage die Ernsthaftigkeit zu entziehen. Aber Melchior verstand meine Anwandlung nicht.
„ ... willst du meine Frau werden?“, fragte er unbeirrt und sah mich siegessicher an.
Ich schwieg und sah betreten zu ihm herab. Melchior gefiel mir nicht. Er sah aus wie ein Wolf, der den Mond anheult e. Ich wollte aber einen Wolf, der beißt!
Es war mucksmäuschenstill im Saal, als hätte man alle Gäste gebeten die Luft anzuhalten. Unerträglich, diese Stille, diese inszenierte Anspannung, diese auffordernden Blicke, denen ich ausgesetzt war. „Warum hat er das nur getan“, dachte ich beschämt. Wir hätten doch über alles reden können.
„ Nein ...“, antwortete ich, raffte mein Kleid und bahnte mir einen Weg durch die raunende Menge.
„ Die ist genau wie ihre Tante. Die Elster’s haben alle eine Meise!“, hörte ich eine ältere Dame zu ihrem Mann tuscheln.
Ohne mich noch einmal umzudrehen, rannte ich zum Ausgang . Dabei verlor ich den linken Schuh, aber das war mir egal. Ich ließ in liegen und humpelte weiter auf die Straße hinaus, wo ich ein vorbeifahrendes Taxi stoppte und mit der bösen Ahnung, vielleicht den größten Fehler meines Lebens getan zu haben, nach Hause fuhr.
Dort angekommen, gab ich mich nicht der Hoffnung hin, dass Melchior mir mit meinem Schuh in der Hand hinterher laufen, ihn mir überstreifen und mir einen Antrag unter vier Augen machen würde. Nein, wir waren leider nicht im Märchen. Ich brauchte mir auch nicht einzubilden, dass mit einer Entschuldigung meinerseits, die Angelegenheit aus der Welt geschaffen wäre. Nein, alles viel zu schön, um wahr zu sein. Dafür kannte ich Melchior zu gut. Ich hatte ihn vor allen Leuten blamiert. Dafür gab es keine Entschuldigung. Für ihn war der Knochen abgenagt. Ende!
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