Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, was sie enthielten. Babel konnte die Anwesenheit mehrerer Toter spüren, vielleicht waren es die Geister dieser leblosen Körper vor ihr. Oder auch deren Vorfahren.
Mahler zeigte auf die oberste Schiene, bevor er die Hände in die Hüfte stützte. »Dort kriegt man sie nur mit einem Hubwagen wieder runter. Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie sie da jemand heimlich wegbekommen haben soll.«
»Ist so was denn schon mal vorgekommen?«
»Nicht bei uns.« Er klang beinahe beleidigt.
»Bei anderen?«
»Na ja, alle Jubeljahre kann schon mal was schiefgehen, immerhin ist niemand vor Fehlern oder Mutwillen geschützt.« Nervös sah er zu Boden. »Aber das ist wirklich die absolute Ausnahme. Die Bestimmungen sind streng.«
»Was hat die Polizei gesagt?«
»Die Spurensicherung hat nichts gefunden. Das Schloss war offen, keine Einbruchsspuren.« Missmutig zog er die Brauen zusammen.
Sie konnte sich denken, worüber er verstimmt war – immerhin lenkten fehlende Einbruchsspuren den Verdacht auf alle Mitarbeiter des Instituts, die einen Schlüssel besaßen.
»Sehen Sie, ich würde für meine Mitarbeiter die Hand ins Feuer legen«, sagte Mahler. »Menschlich kann ich mich vielleicht nicht für alle gleichermaßen erwärmen, aber ich traue keinem zu, dass er eine Leiche verhökert. Wir haben komplizierte Auswahlverfahren, bevor wir jemanden einstellen. Das ist kein Beruf wie jeder andere und …« Er zuckte mit den Schultern und blickte wieder zur Seite.
Neugierig schaute sich Babel um. Sie aktivierte ihr magisches Netz und ließ die Energien in langsamen Wellen über Wände und Boden gleiten. Aber die magische Signatur einer anderen Hexe erfasste sie dabei nicht.
Magisch Aktive hinterließen Spuren, die andere Hexen als Wärme wahrnehmen konnten, denn ihre Körpertemperatur lag höher als bei normalen Menschen. Bei Ritualen stieg sie oft auf fast vierzig Grad, ohne dass ihnen etwas passierte. Auch Plags und die Abkömmlinge von Dämonen, wie Sam einer war, zeichneten sich durch ungewöhnliche Körpertemperaturen aus, obwohl sie keine Magie wirken konnten.
In diesen Räumen war jedenfalls kein Ritual ausgeführt worden. Wenn sich hier eine Hexe aufgehalten hatte, dann schon vor längerer Zeit. Das Energienetz des Gebäudes selbst war übersichtlich und zeigte kaum Fluktuation, weil darin so wenig Leben vorkam. Ihr eigenes Energienetz hinterließ ein sanftes Glühen in der Luft.
Babel wusste nicht genau, was sie davon halten sollte. Seit Mikhail war sie vorsichtig geworden, davon auszugehen, dass eine fehlende magische Signatur auch ein Beweis dafür war, dass keine Hexe in die Tat verwickelt war. Hexen konnten sich Helfer suchen, wenn sie welche brauchten. Die Frage war nur, ob sie der Sache weiter nachgehen sollte, wenn sich wirklich herausstellte, dass kein magisch Aktiver darin verwickelt war?
Plötzlich betrat ein Mann den Raum, der eine schmale Schachtel in den Händen hielt und überrascht aufsah, als er merkte, dass er nicht allein war. Er sah aus, wie man sich gemeinhin einen IT -Studenten vorstellte: blass, gebeugte Schultern und eine tiefe Furche zwischen den Augen.
»Hallo«, sagte er mit einer angenehm tiefen Stimme und stellte den Karton auf dem Fensterbrett ab.
»Das ist Dr. Meier-Lenz. Er ist unser Facharzt für Blutspurenmuster«, stellte Mahler ihn vor und deutete dann auf Babel. »Rolf, das ist Frau Richter von der Versicherung des Bestattungsinstituts.« Vielsagend schaute er seinen Kollegen an, der Babel hastig die Hand entgegenstreckte.
»Hallo.«
»Hallo.«
O Gott, was immer in diesem Karton ist, ich hoffe, er hat sich die Hände gewaschen!
Die Männer unterhielten sich über den Fall. Ihr fiel auf, dass Meier-Lenz sie kaum ansah, wenn er sprach. Seine seltsame Unruhe übertrug sich auf Babel. Vielleicht war das aber auch kein Wunder, wenn man den ganzen Tag mit Toten arbeitete. Vielleicht wurde man da ungeduldig im Umgang mit den Lebenden.
Nachdem der Mann bestätigte, was sein Chef ihr bereits erzählt hatte, verabschiedete sich Babel mit dem Gefühl, dass die Gerichtsmedizin eine Sackgasse war. Alles hier war so penibel aufgelistet und abgestaubt, dass sie sich nicht vorstellen konnte, dass irgendwer auch nur einen Kugelschreiber geschweige denn eine Leiche verlegte.
Als sie auf dem Rückweg am Büro der Sekretärin vorbeikam, hörte sie dahinter schon wieder die verärgerte Stimme, die der Presse vorbehalten war. Vor dem Gebäude rief Babel
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