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Babel Gesamtausgabe - Band 1-3

Babel Gesamtausgabe - Band 1-3

Titel: Babel Gesamtausgabe - Band 1-3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Winter
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im Büro an und schilderte Karl ihren Eindruck.
    »Scheint in Ordnung zu sein. Der Institutsleiter bürgt für seine Leute«, sagte sie, während sie die Stufen hinunterging.
    »Wäre nicht der Erste, der sich diesbezüglich irrt.«
    Sie warf einen Blick zurück auf die Steinlöwen. »Möglich, aber magisch gesehen war da alles in Ordnung. Einer der Mitarbeiter war recht nervös, aber sein Chef war auch nicht gerade der Ruhigste.«
    »Kam er dir verdächtig vor?«
    Sie zuckte mit der Schulter, obwohl er das gar nicht sehen konnte. »Verdächtig? Nein, er hatte jedenfalls keine kleinen Augen, die ihn verraten haben, oder eine Sonnenbrille mit spiegelnden Gläsern.«
    »Mhm«, brummte Karl. »Seine Unruhe muss nicht zwangsläufig was mit diesem Fall zu tun haben. Leute in medizinischen Berufen neigen dazu, nervös zu reagieren, wenn man sie allzu genau befragt. Du weißt schon, Apotheker und ihre einträglichen Nebengeschäfte.«
    Langsam lief sie die Straße hinunter. »Ich kann dir nicht folgen.«
    »Manche verticken abgelaufene Medikamente an Junkies. Kommt nicht gerade selten vor. Wer weiß, was der Kerl nebenher laufen hat, das ihn nervös macht.« Er atmete tief aus, und sie hörte schon wieder das Klicken des Feuerzeugs durch das Telefon.
    »Wenn es so ist, geht uns das jedenfalls nichts an«, sagte sie bestimmt. »Dafür hat mich schließlich niemand engagiert.«
    »Was machst du jetzt?«, wollte er von ihr wissen.
    »Ich werde mir noch mal Sonjas Wohnung ansehen, vielleicht gibt’s dort einen Hinweis.«
    »Na schön, aber wenn sich dort nichts ergibt, beenden wir die Sache. Es gefällt mir sowieso nicht, dass …«
    An dieser Stelle unterbrach Babel die Verbindung und steckte grinsend das Handy in die Jackentasche. Auf Karls Vorträge zu ihrer Gesundheit hatte sie im Moment wirklich keine Lust. Während sie den nächsten Taxistand ansteuerte, hoffte sie inständig, dass irgendwer die blutigen Spuren des Verbrechens in Sonjas Wohnung beseitigt hatte. Nach dem Besuch in der Gerichtsmedizin war ihr nicht gerade danach, einen Blick auf blutbespritzte Wände zu werfen.

6
    Nichts deutete darauf hin, dass sich in dem Gebäude eine Tragödie ereignet hatte. Der Eingang wurde von zwei weißen Säulen gesäumt, und in den großen Blumenkübeln davor waren inzwischen Veilchen gepflanzt worden. Alles sah ordentlich und gepflegt aus. Doch beim Anblick der Fassade lief es Babel kalt den Rücken hinunter.
    Fast erwartete sie, einen Geist zu sehen oder irgendwie Madame Vendome auf der Totenebene zu spüren, aber da war nichts.
    Sie warf einen Blick auf die Klingelschilder. Noch immer stand Madame Vendome auf dem für das zweite Stockwerk, als wäre sie nach wie vor Mieterin in diesem Haus. Offenbar hatte sich noch kein Nachmieter gefunden.
    Babel klingelte im Erdgeschoss und antworte auf ein barsches »Ja?« nur im selben Ton: »Post!« Als der Summer ertönte, schlüpfte sie ins Haus.
    Marmorstufen führten nach oben, sie erinnerte sich gut an die bronzenen Handläufe und den roten Teppich, der die Schritte auf den Stufen dämpfte, und auch an das Messingschild im Erdgeschoss, das die Namen der Mieter auflistete. Der Name Vendome fand sich unverändert in der Liste. In diesem Haus existierte Madam Vendome noch so lange, bis der Hausmeister seine Leiter aus dem Keller holte.
    Als Babel vor der Wohnungstür stand, an der ein Polizeisiegel klebte, erinnerte sie sich an das letzte Mal, als sie hier gewesen war. Noch einmal sah sie das Mädchen vor sich, das, gekleidet in eine französische Zimmermädchenuniform, für Sonja gearbeitet hatte – und in das Mikhail dann seinen Dämon hatte hineinfahren lassen.
    Das Mädchen stand nach wie vor unter medizinischer Betreuung. Physisch war mit ihr alles in Ordnung, doch von der emotionalen Belastung erholte sie sich nur langsam. Sie konnte sich nicht im Einzelnen an die Vorgänge ihrer Besessenheit erinnern, aber es war, als lebte ein Teil des Dämons noch immer in ihr. Sie war reizbar, aggressiv und sprach manchmal wie in Trance von Nebeln, die sie umgaben. Die Ärzte wussten nicht, was sie mit ihr anfangen sollten, denn sie reagierte nicht auf die üblichen Behandlungsmethoden.
    Ein einziges Mal hatte Babel sie auf der geschlossenen Abteilung besucht und ihr ins Ohr geflüstert: Du bist nicht verrückt. Die Nebel waren echt. Du darfst nur nicht mehr davon reden, wenn du hier rauskommen willst.
    Danach schien sich der Zustand des Mädchens ein bisschen verbessert zu haben.

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