Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
ersten Moment tat sich gar nichts, doch als er sich mit mehr Kraft dagegenstemmte, gab die Wand plötzlich nach, und es entstand ein kleiner Spalt rechts von ihnen. Tom hakte die Finger darunter und schob die Wand weiter auf.
»Das kann doch nicht wahr sein. Eine Geheimtür.« Ungläubig sah sie ihn an. »Viel dramatischer geht es wirklich nicht.«
»Wohl eher ein abgetrennter Raum. Ich glaube nicht, dass diese Tür irgendwo hinführt.«
Tatsächlich eröffnete sich dahinter ein weiteres kleines Zimmer.
»Unglaublich, das habe ich beim ersten Mal gar nicht gemerkt.« Vorsichtig ging Babel hinein.
»Der Sinn einer Geheimkammer ist ja auch, dass du sie nicht entdeckst.«
»Danke, du Besserwisser. Wahrscheinlich hat sie sie mit einer magischen Barriere verschleiert. Zu schwach, um Aufmerksamkeit zu erregen. Hätte ich genauer hingeschaut, hätte ich es sicher gemerkt, aber damals war ich abgelenkt. Vermutlich hat sich die Barriere gelöst, als …«
Er räusperte sich. »Schon klar.«
Erstaunt stellte sie fest, dass es sich bei dem Raum um ein kleines Labor handelte. Auf einer Werkbank standen mehrere Glasbehälter, UV -Lampen und Chemikalien. Außerdem gab es einen Kühlschrank, der leise vor sich hin brummte. An allem klebte noch Sonjas magische Signatur. Babel hatte gewusst, dass Sonjas Spezialität Tränke gewesen waren, aber das hier sah nicht mehr nach einfacher Kräuterkunde aus, dafür war es zu professionell.
Fasziniert fuhr sie mit den Fingerspitzen über die Werkbank, auf der sich wochenalter Staub gesammelt hatte. »Was zum Henker hat sie hier getrieben?«
Nacheinander nahm Tom einige der Gläser in die Hand, die in einem Regal standen und mit schmalen Aufklebern beschriftet waren. »Auf den ersten Blick würde ich sagen, sie hat Medikamente hergestellt.«
»Du machst Witze.«
Er schüttelte den Kopf. »Aus einigen dieser Sachen kannst du hübsche Cocktails machen. Der gefährlichen Sorte.«
»Du meinst, das ist der rechte Zeitpunkt, um mal über unsere jeweilige Erfahrung mit Drogen zu reden? Also, du erkennst offenbar Chemikalien, die ich nicht auf den ersten Blick identifizieren kann.«
Ein herausforderndes Grinsen antwortete ihr.
»Und da dachte ich, ihr Plags würdet nur mit eurem Bier ums Lagerfeuer sitzen und in die Sterne schauen.« Sie zeigte auf die Werkbank. »Ich habe wirklich geglaubt, dass Sonja ihre Tränke in der Küche herstellt. Nie hätte ich gedacht, dass sie ein Labor betreibt. Vermutlich hat sie der Wirkung ihrer Tränke mit Chemie nachgeholfen.«
Der Gegenstand mit der stärksten magischen Signatur war ein Buch, das auf dem Kühlschrank lag. Vermutlich hatte Sonja das Buch oft in der Hand gehalten. Als Babel danach griff, kitzelte die darin gespeicherte Magie sie an den Fingerspitzen.
Es war eine Art Kundenregister und enthielt ein Verzeichnis mit Namen und Abkürzungen, die Auskunft gaben, welche Mittel Madame Vendome an ihre Kunden verkauft hatte. Die Namen waren nicht verschlüsselt, die Rezepturen allerdings in chemischen Kürzeln geschrieben. Babel entdeckte einen Richter vom Verwaltungsgericht und eine Kundin, für die sie selbst auch schon einen Auftrag erledigt hatte.
»Glaubst du, ihre Geschäfte haben etwas damit zu tun, dass sie verschwunden ist?«, fragte Tom, und das klang, als würde Sonja noch leben.
Es war eigenartig, wie unpassend Sprache auf einmal wurde, wenn jemand gestorben war.
Nachdenklich schaute Babel auf das Buch. »Was hätte irgendwer davon, wenn er die Leiche seines Dealers verschwinden lässt?«
»Beweise vernichten?«
»Du meinst, irgendwer wollte nicht, dass rauskommt, dass er ab und zu eine Aufmunterung braucht und da … Was? Vergiftet er die berühmt-berüchtigte Madame Vendome und lässt danach ihre Leiche verschwinden? Nachdem die Obduktion durchgeführt und nichts gefunden wurde?«
»Ich gebe zu, die Theorie hat Schwachstellen.«
Babel seufzte und sah sich noch einmal in dem Labor um. »Ja, aber im Moment ist das unsere einzige Spur, das ist das Problem.« Sie schlug mit der flachen Hand gegen das Buch. »Das nehme ich auf jeden Fall mit.«
»Wozu? Willst du alle Namen auf der Liste überprüfen? Das sind mindestens zwei Dutzend.«
Sie atmete tief durch und schwieg, in der Hoffnung, er würde die Frage vergessen. Aber das führte nur dazu, dass er sie am Ellbogen fasste und sie zu sich umdrehte.
»Du hast doch hoffentlich nicht vor, was ich denke, das du vorhast«, sagte er mit ernster Miene.
Für einen kurzen Augenblick
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