Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
Vielleicht hatte sie aber auch nur gelernt, ihre Ängste zu verbergen. Schon allein ihretwegen verspürte Babel kein schlechtes Gewissen darüber, Mikhail seine magischen Kräfte genommen zu haben.
Mit einem Energiestoß brachte sie das Türschloss zum Aufschnappen, und vorsichtig drückte sie die Tür nach innen. Vor ihr lag der breite Flur, in dessen Mitte ein runder Kamin stand, der mit kalter Asche gefüllt war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn zu reinigen. Auch die Fotografien an den Wänden hingen noch an ihrem Platz. Die Gegenstände in den Wandnischen verströmten nur schwach magische Energien, denn es war niemand mehr hier, der sie auflud. Das Parkett zeigte Spuren zahlreicher Schuhe. Vermutlich waren die Kratzer durch die Polizisten entstanden.
Langsam ging Babel den Flur hinunter. Ohne die Anwesenheit der anderen Hexe, die die Luft mit ihren Energien füllte, wirkte er nur wie ein kalter Gang in einem unbewohnten Haus.
Ihre Schritte führten sie in den Salon mit den grünen Streifentapeten. Keine Sekunde zögerte sie, die Klinke nach unten zu drücken, denn jedes Zögern hätte sie zurückgezwungen. Hinaus aus dieser Wohnung ohne Leben. Daher trat sie entschlossen ein. Einer der burgunderfarbenen Sessel, die davor standen, war umgekippt. Die Porträtgemälde, die als Ahnengalerie hergehalten hatten, lehnten an der Wand.
Auch in diesem Raum fand sich nur noch eine schwache Spur der Hexe, die hier einmal gelebt hatte. Die Wände und der Fußboden waren zwar gereinigt worden, doch die Tapete wies dunkle Flecken auf.
Plötzlich hörte Babel ein Geräusch im Flur. Sie wirbelte herum, sprang hastig hinter die Tür und aktivierte ihre Magie. Durch die Lücke zwischen Rahmen und Blatt konnte sie auf den Flur linsen. Als sie jedoch erkannte, wer langsam auf den Salon zukam, ließ sie den Schutzwall wieder sinken und riss die Tür auf.
»Willst du, dass ich einen Herzinfarkt kriege?«, zischte sie, und Tom hob entschuldigend die Hände.
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Was schleichst du dich so an?«
»Ich schleiche nicht.«
Sie sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.
»Schleichen erfordert ein Fortbewegen auf dem Bauch.«
»Ich sehe, du hast länger darüber nachgedacht.«
Er ging an ihr vorüber in den Salon, blieb aber schon nach wenigen Schritten wieder stehen, als sein Blick auf die Flecken an der Wand fiel.
»Was machst du hier?«, fragte sie und stellte sich neben ihn, während sie gemeinsam die letzten Spuren des Verbrechens anstarrten.
»Dir helfen.«
»Musst du nicht in der Wagenburg sein?«
»Die kommen auch mal einen Tag ohne mich aus. Karl hat mir gesagt, wo du bist.«
Misstrauisch musterte sie ihn. »Sag mal, das ganze Gerede über Clarissa und ihren möglichen Versuch, sich an mir zu rächen, hat dich nicht zufällig dazu gebracht, mir hinterherzukommen?«
»Wenn ja, würde ich es jetzt sicher nicht zugeben«, erwiderte er trocken.
Babel schnaufte und warf einen Blick zurück in den Flur. »Wo hast du Urd gelassen? Ich hoffe, sie macht nicht das Treppenhaus unsicher.«
»Bei Mo.«
»Na, da hast du zwei zusammengebracht. Ich weiß nicht, wer schlimmer ist, der Hund oder die kleine Mistkröte.« Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und ließ ihre Energien fließen, die das Magienetz der Wohnung abtasteten.
Dort, wo sich die Totenenergie befunden hatte, die während des Mords an Sonja entstanden war, zeigten sich Löcher im Geflecht. Die schwachen magischen Linien zitterten wie im Wind. Das war der Beweis dafür, dass Mikhail die Energie sofort dazu benutzt hatte, einen Dämon zu beschwören.
»Kannst du irgendwas spüren?«, fragte Tom, der ein Stück von ihr abgerückt war, als sie begonnen hatte, Magie zu wirken.
»Nichts, was überraschend wäre, bedenkt man, was hier passiert ist.«
Langsam nickte er. »Da kriegt man eine Gänsehaut, auch ohne magisch aktiv zu sein.«
Gerade als sie ihm sagen wollte, dass sie die Wohnung auf Hinweise durchsuchen sollten, nahmen Babels Energien plötzlich eine Unterbrechung im magischen Netz der Wand wahr – genau an der Stelle, wo sich zwischen den Regalen eine Lücke von ungefähr einem Meter befand.
Vorsichtig trat sie an die Wand und legte die Hand gegen die Tapete.
»Was ist?«, fragte Tom.
»Keine Ahnung, hier ist irgendwas.«
Er trat neben sie und klopfte gegen die Wand. Ein hohles Geräusch antwortete ihnen. »Ich glaube, dahinter liegt ein Hohlraum.« Probeweise drückte er gegen das Paneel.
Im
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