Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
aufpassen kannst, Tom. Vielleicht hast du recht, und das spielt eine Rolle, aber das ist es nicht allein. Ich würde nie jemanden bitten, bei mir einzuziehen, nur um ein Auge auf ihn zu haben. Sonst würde Karl längst auf dem Dachboden wohnen.«
Er lachte leise.
»Aber ich gebe zu, dass ich dafür andere Mittel habe. Obwohl ich versuche, einige Sachen in den Griff zu kriegen, werde ich nie ganz von der Magie lassen, sie ist ein Teil von mir und macht mich zu der, die ich bin. Wenn ich dich damit beschützen kann, dann tue ich es.« Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Wenn ich also frage, ob du hier wohnen willst, dann habe ich dafür andere, weniger selbstlose Gründe.«
»Ständigen Zugang zu meinem Körper?«
»Genau.«
Wieder sah er ihr eindringlich in die Augen, und sie hatte das Gefühl, als könnte er ihr direkt bis ins Herz sehen.
»Ich überleg’s mir«, sagte er. »Die Entscheidung hat nichts mit dir zu tun, Babel. Du darfst nicht vergessen, wer ich bin. Wir Plags tun uns schwer damit, in vier festen Wänden zu wohnen. Das will gut überlegt sein. Aber du könntest mich vielleicht dazu überreden.«
Sein Grinsen wurde noch breiter, und die Wärme, die von ihm ausging, verband sich mit ihrer Magie. In dem Moment, als sie ihn küsste und seine Zunge in ihren Mund eindrang, färbte sich das Bettlaken dunkelrot, und die Erregung malte Formen an die Wand, die wie Flammen aussahen …
5
Auch der nächste Tag zeigte sich von seiner sonnigen Seite. Der wolkenlose Himmel brachte Babel beinahe dazu, Karl nach den Urlaubsprospekten vom Vortag zu fragen, um ein verlängertes Wochenende mit Tom zu planen. Stattdessen ergab ein Anruf beim Friedhof jedoch, dass die Leiche von Madame Vendome weiterhin verschwunden blieb. Also bereitete sich Babel darauf vor, mit der Suche zu beginnen.
Es war erstaunlich, wie weit Karls Kontakte reichten. Ihm war es nicht nur gelungen, aus dem verantwortlichen Bestatter den Namen der zuständigen Versicherung herauszubekommen, er hatte für Babel auch noch einen Termin mit dem Institutsleiter der Gerichtsmedizin organisiert. Dabei sollte sich Babel als Mitarbeiterin eben jener Versicherung ausgeben, die angeblich die näheren Umstände des Verschwindens beleuchtete. Das Motorrad ließ sie zu Hause stehen, weil das grässliche Businesskostüm, das zu ihrer falschen Identität passen sollte, das Aufsitzen erschwerte.
Auf ihre Frage, wie ihm dieses Kunststück gelungen war, erklärte Karl nur geheimnisvoll: »Auch Bestatter haben Nachbarn.« Worauf sie nicht weiter nachfragte, aus Angst, er könne ihr beichten, dass er nachts auf der Lauer lag, um bei den Leuten kompromittierende Bilder durch deren Schlafzimmerfenster zu schießen.
Die Gerichtsmedizin war dem Universitätsklinikum angeschlossen. Es war der letzte alte Bau in einer Gruppe neuer Häuser, der wirkte, als hätte man einfach vergessen, ihn abzureißen. Den Eingang zierten zwei hüfthohe Löwenstatuen, deren unbewegliche Gesichter allen Besuchern entgegensahen. Welchen Zusammenhang es zwischen den Großkatzen und dem Geschehen hinter diesen Mauern gab, wollte Babel aber nicht einfallen. Ein unauffälliges weißes Emailleschild gab Auskunft über die Öffnungszeiten und Notfalltelefonnummern.
Nachdem Babel das Gebäude betreten hatte, blieb sie im Flur stehen. Die Kühle des Gebäudes rührte nicht nur von der fehlenden Sonne her, sondern auch von den Toten, die hier in hoher Dichte auf der anderen Ebene vorüberzogen. Wie ein sanfter, aber kalter Windhauch streiften sie Babel, die auch noch den letzten Knopf ihrer Jacke schloss. Doch wärmer wurde ihr dadurch nicht.
Hier ist der Tod zu Hause , dachte sie.
Dann müsstest du dich doch heimisch fühlen.
Nein, ich hab dem Tod nie nahegestanden. Ich bin ihm nur zu nah gekommen. Das ist ein Unterschied.
Während sie die Treppe hinaufstieg, musste sie an Hilmar denken und daran, wie er gestorben war, weil sie Sam nicht davon abgehalten hatte, auf ihn einzuschlagen. Das Splittern seiner Knochen konnte sie immer noch hören.
Was hast du erwartet von einem Kerl, dessen Vater ein Dämon ist? Du kannst froh sein, wenn er dir nicht dein Herz rausreißt.
Aber genau das hatte Sam ja getan. Dass er ihr dafür seines gegeben hatte, machte es so schwierig, sich von ihm zu lösen.
Langsam ging sie weiter und folgte der Beschilderung zu einem Sekretariat, hinter dessen Tür eine aufgeregte und verärgerte Stimme zu hören war. Einen Augenblick zögerte Babel, aber als die
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