Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
die vermutlich nur sie hörte, denn für die Musik aus den Lautsprechern bewegte sie sich zu langsam. Schwere Rauchwolken zogen durch die Luft, und auf den ersten Blick hätte man die Szenerie auch für eine Tabledancebar halten können.
»Willst du vielleicht erst mal was trinken?«, flüsterte Sam ihr ins Ohr, und erschrocken fuhr sie herum. Viel zu dicht stand er bei ihr, und das Adrenalin, das ihre magische Verbindung anzeigte, raste ihr durchs Blut.
»Nein«, antwortete sie hastig und ging weiter zur nächsten Tür, hinter der sich eine Tanzfläche verbarg. Paare zappelten im Stroboskoplicht, und ihre Körper glänzten vom Schweiß. Ihre Gesichter wirkten im Rhythmus der Musik selbstvergessen, und eine Weile betrachtete Babel diese Menschen, deren Körper so leicht wirkten, bevor sie erneut zurücktrat und weiterging.
Die ganze Zeit über tasteten ihre Energien nach anderen magischen Signaturen, aber da war nichts. Alles, was sie spüren konnte, war die wilde Aufregung, die jeden hier erfasst hatte. Aber um das zu merken, musste man keine Hexe sein. Sie konnte es an den fiebernden Blicken sehen, den lustvoll verzogenen Mündern.
In einem anderen Raum saßen ein paar ältere Männer beim Pokerspiel, dessen Einsätze sich daran ermessen ließen, dass mehrere Wachleute an den Wänden standen, die das Ganze mit stoischen Mienen beobachteten. Einer von ihnen grüßte Sam mit einem Nicken, bevor der Babel sanft am Ellbogen aus dem Raum zog.
»Das ist eine Privatrunde, die sollten wir nicht stören.«
Je weiter sie in das Gebäude vordrangen, desto freizügiger wurden die Szenerien. Der Club stellte sich als Labyrinth heraus, das sich hinter den Mauern ausbreitete. Wie auf den Elysischen Feldern gab es alles, was das Herz und auch das Blut begehrte. In abgedunkelten Räumen bewegten sich halbnackte Leiber, die in der rauchverhangenen Luft kaum noch zu erkennen waren. In diesen Zimmern roch es nach Sex und Erschöpfung, und mit jedem neuen Raum, den sie betraten, verschwammen die Gesichter darin mehr zu einer zitternden, bebenden Menge, deren Seufzer und Schreie eine eigene Melodie bildeten.
Immer wieder begegneten sie Kellnerinnen, die von eleganten Rollwagen Speisen anboten. Ausgefallene Meeresfrüchte, ein Dutzend Süßspeisen – eine verlockender als die andere. Kirschen, Granatäpfel und Melonen verklebten den sinnesfrohen Besuchern Finger und Gaumen und versetzten sie zusammen mit exotischen Cocktails in einen Freudentaumel.
Während sich Babel die Räume anschaute, die sie einladen sollten, an den Vorgängen teilzunehmen, wurde ihr immer wärmer. Sie spürte Sams Anwesenheit dicht bei sich, und die Erinnerung spann sie ein – an Nächte, die sie gemeinsam geteilt und in denen ihre Leidenschaften keine Grenzen gekannt hatten. Zu sehen, wie diese Menschen alle Hemmungen verloren und dem Begehren, das sie beherrschte, nachgaben, entfachte auch in ihr ein merkwürdiges Feuer. Nicht im Herzen und nicht im Geschlecht, sondern irgendwo dazwischen, in Bereichen, auf die weder Gewissen noch Verstand Zugriff besaßen.
Sie wusste, dass Sam ihre Erregung riechen konnte, und sie spürte sein Lauern darauf, dass sie ihr nachgab. Doch noch konnte sie widerstehen. Noch erinnerte sie sich an Toms Griff um ihren Arm und den Wunsch, dieses Feuer hinter sich zu lassen.
Nach einer Weile kam ihnen zielstrebig eine Frau mit Betty-Boop-Haarschnitt entgegen. Ihr Gang verriet, dass sie kein Gast war. Sie trug einen langen engen Lackrock und eine passende Korsage, deren silberne Haken im Licht blitzten. Scharf gezogene Augenbrauen, so dünn wie Filzstiftstriche, zogen sich bis zu ihren Schläfen, und die rot geschminkten Lippen schimmerten feucht und einladend.
Der Mund war zu einem Lächeln verzogen, als sie die Hand nach Sam ausstreckte und mit tiefer Stimme sagte: »Samuel.«
Er griff nach ihrer Hand und küsste sie auf die Innenseite des Handgelenks. »Monika.«
»Du warst lange nicht mehr hier.« Die Frau betrachtete Babel mit sezierendem Interesse. »Wer ist deine Freundin?«
»Das ist Babel.«
Überrascht sah Monika sie an. »Interessant.«
Was er ihr wohl über sie erzählt hatte? Und bei welcher Gelegenheit?
»Hör mal, Monika, mein Mädchen sucht eine Freundin, Madame Vendome. Meinst du, du hast ein paar Minuten für uns?«
»Aber du weißt doch, dass unsere Klienteninformationen vertraulich sind, Sam.« Der Mund lächelte noch, aber ihr Blick war schärfer geworden.
Da packte er dieses Lächeln aus, das
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