Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
erst ein bisschen aushängen lassen und die tiefrote Korsage abstauben, so lange hatte sie beides nicht mehr getragen.
Den schwarzen Ledermini fand sie nach einer halben Stunde verzweifelten Suchens in der hintersten Schrankecke, zwischen ihrem Badeanzug und einem alten Unterrock, zu dem es nicht einmal mehr das Kleid gab. Dass Babel den Reißverschluss am Rock überhaupt noch schließen konnte, grenzte schon an ein Wunder!
Das einzige Zugeständnis an ihren eigentlichen Kleidungsstil blieben die Springerstiefel mit den Stahlkappen. Damit konnte sie sich im Notfall auch Platz verschaffen, wenn ihr irgendein Typ zu nah auf die Pelle rückte. Möglicherweise half es auch gegen Sam.
»Warum habe ich mich eigentlich schon wieder bequatschen lassen?«, fragte sie seufzend ihr Spiegelbild, während sie sich schminkte und versuchte, ihre langen blonden Locken in eine vorzeigbare Frisur zu verwandeln.
Weil du es nicht erträgst, wenn ein Rätsel ungelöst bleibt? Außerdem hast du einen Kontrollzwang.
Mit jedem Accessoire, das sie anlegte, sah sie mehr aus wie ihre Schwester und immer weniger wie sie selbst.
»Wow!«, ertönte es plötzlich hinter ihr, und überrascht drehte sie sich um. Durch die Bewegung rutschte sie mit dem Lippenstift ab und schmierte sich einen breiten roten Strich auf die Wange.
»Toll.« Sie wandte sich wieder dem Spiegel zu.
Während sie mit einem Stück Klopapier den Lippenstift abwischte, klopfte ihr Tom auf den Hintern und setzte sich auf den Badewannenrand, um ihr zuzusehen.
»Ich hab dich gar nicht ins Haus kommen hören.«
Er grinste. »Meine Vorfahren waren Naturgeister, was erwartest du?«
Urd steckte neugierig den Kopf zum Badezimmer herein, schnupperte, entschied aber dann, dass Babels Anputzen für sie uninteressant war, und lief weiter. Vermutlich ins Schlafzimmer, wo sie ihren Sabber auf Babels Überdecke verteilen würde.
Im Spiegel warf Babel hin und wieder einen Blick auf Tom, dessen Hände voller Farbflecken waren und dessen Augen begeistert auf ihre Rückseite gerichtet waren.
Schon als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, hatten sie diese Hände fasziniert. Er besaß lange Finger, kräftige Handgelenke und manche Narbe, die sich blass gegen seine Haut abhob. Es waren Arbeiterhände.
Bei seinem Anblick erinnerte sie sich an das Versprechen, das sie Tamy gegeben hatte, und das schlechte Gewissen schnürte ihr die Kehle zu. Sie hatten sich keine ewige und unverbrüchliche Liebe geschworen – aber das war es auch nicht, was Tom hören wollte. Mit ihm ging es nur darum, ehrlich zu sein. Doch genau das fiel Babel so schwer.
Ein paarmal atmete sie tief durch, bevor sie sich neben ihn auf den Wannenrand setzte und sagte: »Ich war heute bei Sam.«
Eine Weile sagte er gar nichts.
Regungslos saß er auf der Wanne, und sie konnte hören, wie er atmete. Irgendwann sagte er dann: »Okay.«
»Es ist nichts passiert.«
»Aber?«
»Kein Aber.« Sie beobachtete, wie sich seine rechte Hand zur Faust ballte. »Ich hab mit ihm über den Club geredet, weil er ihn kennt und mich dort reinbringen kann.«
»Und das war der Grund, warum du bei ihm warst? Du hättest anrufen können.«
»Das habe ich. Er hat darauf bestanden, dass ich vorbeikomme. Tamy war mit.«
Freudlos lachte er auf. »Du hast eine Anstandsdame mitgenommen? Traust du dir in seiner Gegenwart so wenig?« Er stand auf und fuhr sich durch die Haare. Die Wut ging in Wellen von ihm aus. »Wow, Babel, du verstehst es echt, einem den Tag zu ruinieren.« Er schüttelte den Kopf, als könne er so die Bilder vertreiben, die sich in seine Vorstellung geschlichen hatten.
Krampfhaft suchte sie nach Worten, die die Situation für ihn leichter machen würden, aber ihr fielen nur Floskeln ein, und »Es liegt nicht an dir« war die allerschlimmste davon.
Als er sich wieder zu ihr umdrehte und mit in die Hüfte gestützten Händen auf sie herabsah, brannte sein Blick. »Ehrlich, Babel, ich versteh dich nicht. Wenn du diese Beziehung«, er deutete zwischen ihnen hin und her, »nicht willst, dann sag es mir einfach. Ich bin kein Teenager mehr. Ich kann damit umgehen, wenn eine Frau einen anderen liebt. Womit ich nicht umgehen kann, ist, wenn ich benutzt werde.«
Sie sprang auf und griff nach seinem Arm, aber er entzog sich ihr wütend.
»Das ist es nicht, Tom. Glaubst du wirklich, ich hätte dich gebeten, hier einzuziehen, wenn ich dich nicht lieben würde?«
Unsicher flackerte sein Blick über ihr Gesicht auf der Suche nach der
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