Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
sie bei Judith und Tamy, die sie alarmiert ansahen.
»Karl ist überfallen worden. Ich muss ins St. Anna.«
»Wir fahren dir mit dem Auto nach«, erklärte Tamy, und Babel nickte. Ihr war fast schlecht vor Angst.
Noch nie in ihrem Leben war sie so schnell zu ihrem Motorrad gerannt, das Herz schlug ihr bis zum Hals, das Blut rauschte ihr in den Ohren, und sie musste drei Mal ansetzen, um den Schlüssel ins Zündschloss stecken zu können, so sehr zitterten ihr die Finger.
Wenn Karl stirbt …
Sie durfte nicht daran denken. Es war unvorstellbar, dass diesem alten Rabauken irgendetwas zustoßen konnte. Dass er womöglich nicht mehr da sein würde, wenn sie morgens ins Büro käme, um sie mit seinen Dolly-Parton-Platten in den Wahnsinn zu treiben. Ohne es zu merken, war Karl zu einem der wichtigsten Menschen in ihrem Leben geworden … Er hatte ihr damals mit seinem Angebot, sich zusammenzutun, eine Perspektive gegeben, mit ihm hatte sie auch einen Platz für sich selbst gefunden, endlich eine Heimat. Er war da gewesen, als Sam ab- und bevor Tom aufgetaucht war. Selbst Xotl schien seit Karls Auftauchen umgänglicher.
Genau wie sie.
Galle kam ihr hoch, und ihre Hände wurden feucht. Der Weg durch die Stadt kam ihr endlos vor, und die roten Ampeln schienen sich von einem Tag auf den anderen verdoppelt zu haben. Babels Magie färbte den Tank des Motorrads mehrfach um und brannte das Gummi von den Lenkgriffen.
Es war immer ihre größte Angst gewesen, die nicht schützen zu können, die ihr etwas bedeuteten. Dass all ihre Macht nicht ausreichte, um sie in Sicherheit zu bringen.
Sicherheit ist eine Illusion, das weißt du doch, sagte die Stimme in ihrem Kopf, die wie die ihres Vaters klang – damals, als sie noch klein gewesen war und er sie getröstet hatte.
Nein, sie durfte nicht daran denken, dass sie diesen Trost vielleicht bald wieder brauchen würde. Mo hatte gesagt, dass Karl noch lebte, und wenn es so war, dann würde sie ihn auch retten.
2
Mo wartete bereits am Eingang des Krankenhauses auf sie. Mit seinen neongrün-schwarz gestreiften Hosen war er weithin zu erkennen. Er zog nervös an einer Zigarette, hatte die Schultern hochgezogen und sah sich immer wieder um. Zu seinen Füßen stand der alte, verbeulte Vogelkäfig mit dem dämonenbesessenen Papagei – und irgendwie sahen sowohl Mo als auch der Vogel verloren aus.
Babel war schon von der Maschine gesprungen, noch bevor sie richtig zum Stehen kam. Als sie sich Mo auf wenige Meter genähert hatte, kratzte sein Energienetz an ihrem, und wie immer überlief sie ein kurzer Schauder, als sie in die Nähe des Plags kam, weil sie spürte, dass er magisch passiv war – ein Teil des Erbes seiner Vorfahren, die noch echte Naturgeister gewesen waren.
Ängstlich schaute er ihr aus diesen merkwürdig faszinierenden Augen entgegen, ganz anders als sonst, und von seiner üblichen vorlauten Art war im Moment nicht viel zu sehen. Ohne ein Wort nahm Babel ihn in den Arm, und er klammerte sich an sie wie ein Kind. Sie spürte, dass er am ganzen Leib zitterte – und das beunruhigte sie noch mehr. Mo war kein Feigling, er hatte sich schon oft geprügelt und scheute sich nicht vor einer blutigen Nase.
Wenn das, was er im Büro gesehen hatte, ihm solche Angst machte, dann musste es schlimm sein …
Als er sich endlich wieder von ihr löste, deutete Babel auf Xotl, der die Blicke der vorbeigehenden Passanten auf sich zog. Kein Wunder, schließlich war er der hässlichste Vogel, den die Welt je gesehen hatte, mit all den kahlen Stellen und den fiesen kleinen Augen. Doch für seine Verhältnisse blieb er erstaunlich ruhig, nicht einer seiner üblichen Flüche war zu hören. Stattdessen hockte er am Boden seines Käfigs und schielte mit gelben Augen stumm zu ihr auf, als sei diese ganze Sache ihre Schuld. Die dämonischen Energien, die von ihm ausgingen, zwickten sie in die Hände.
Vielleicht ist es wirklich meine Schuld , dachte Babel, immerhin würde Karl jetzt nicht im Krankenhaus liegen, wenn er sie nicht kennengelernt hätte.
»Warum hast du ihn mitgebracht?«, fragte sie Mo.
»Keine Ahnung, ich hab einfach gedacht … Wenn sie zurückkommen …«
»Hast du gut gemacht.« Sie legte Mo den Arm um die Schulter und nahm den Käfig in die Hand. Kurz sah sie sich nach allen Seiten um, bevor sie sich über eine Hecke neben dem Eingang beugte und den Käfig dahinter abstellte, woraufhin Xotl wild mit den Flügeln schlug und den Käfig zum Schwanken brachte. Aber sie
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