Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
konnte den Vogel nicht mit zu Karl hineinnehmen; der Bannkreis war aufgehoben worden, als Mo den Käfig aus der Nische im Büro genommen hatte, und die dämonische Seite des Papageien würde mit der Zeit versuchen, ihnen die Lebensenergie abzusaugen – und das war sicher das Letzte, was Karl jetzt gebrauchen konnte. Tiere waren im Krankenhaus ohnehin nicht erlaubt. Doch Babel verstand, warum Mo den Käfig mitgenommen hatte. Auch wenn Xotl die meiste Zeit mehr Ähnlichkeit mit der Beulenpest hatte als mit einem Haustier, hatten sie sich doch an ihn gewöhnt. Sie hätte ungern gesehen, dass ihm jemand den Hals umdrehte … jemand anderer als sie,
Gemeinsam mit Mo betrat sie das Krankenhaus, das nach Linoleum und Reinigungsmitteln roch, so wie wohl jedes Krankenhaus. Diesen Geruch kannte sie inzwischen schon zu gut. An der Aufnahme fragte sie mit heiserer Stimme nach Karl, wobei sie versuchte, von dem Gesicht der Krankenschwester etwas abzulesen, das ihr half, die Situation einzuschätzen. Aber der Ausdruck der Frau gab nichts preis, was Aufschluss über Karls Zustand gegeben hätte. Kein mitleidiger Blick, kein besorgtes Stirnrunzeln. Nur die geschäftsmäßige Miene einer Frau, die jeden Tag mit menschlichen Tragödien konfrontiert wurde.
In diesem Moment stürmten Judith und Tamy zum Eingang herein. Ihre Gesichter waren fast so weiß wie die kahlen Wände. Tamys schwere Stiefel hallten unangenehm laut in der gedrückten Stille wider, und als sie bei ihnen ankamen, legte Judith Mo sofort einen Arm um die Schulter. Aber selbst das konnte den Jungen nicht beruhigen, dabei hatte er sonst eine ausgeprägte Schwäche für Babels Schwester.
Viel erfuhren sie nicht, nur, dass Karl noch operiert wurde und sie inzwischen im Wartebereich Platz nehmen konnten, wenn sie denn wollten. Einen kurzen Moment erwog Babel, den Operationssaal zu stürmen, um Karl mit ihrer Magie zu helfen, aber es waren einfach zu viele Menschen anwesend, um alle wirksam ablenken zu können. Selbst wenn Mo sie mit seinen hypnotischen Kräften unterstützte, über die er als Plag bis zu einem gewissen Grad verfügte. Außerdem konnten Babels Heilkräfte besser wirken, wenn die Ärzte einen Großteil des medizinisch Möglichen bereits geleistet hatten; das war wie mit alternativer Medizin: Hand in Hand mit der modernen Wissenschaft wirkte beides besser.
Also taten sie widerwillig wie geheißen und nahmen auf den unbequemen Plastestühlen Platz, auf denen vor ihnen schon so viele Angehörige darauf gewartet hatten, etwas über ihre Lieben zu erfahren. Es war eine trostlose Szenerie, und hin und wieder ertappte Babel fremde Leute dabei, wie sie ihnen vom Gang her mitleidige Blicke zuwarfen.
Von ihrem Platz aus breitete Babel vorsichtig ihr magisches Netz aus und versuchte, durch die Türen Karls Energienetz zu erfassen. Es war ihr inzwischen so vertraut, dass sie ihn gut erkannte, selbst wenn sie ihn nicht sehen konnte, doch die vielen Menschen und die von Emotionen aufgeladene Luft machten es schwer, sein Muster zu greifen. Er war zu geschwächt. Stattdessen brannte ihre Magie kleine Löcher in den Fußboden, bis Judith ihr die Hand aufs Knie legte, um sie zu beruhigen.
Stundenlang saßen sie zu viert im Wartebereich in der Nähe der Intensivstation, ohne dass einer von ihnen auch nur auf Toilette gegangen wäre. Babel versuchte mehrfach, Tom und Sam zu erreichen, aber beide hatten ausgerechnet an diesem Tag ihre Handys ausgeschaltet. Tom vermutlich, weil er noch bei seinem Termin mit der Stadträtin saß, um über die Wagenburg zu reden, und Sam … Wer wusste schon, was bei dem los war.
Einen Augenblick lang erfasste Babel Unruhe, aber dann atmete sie tief durch und bemühte sich, ihre Panik zu unterdrücken. Die beiden konnten auf sich selbst aufpassen.
Das hast du von Karl auch gedacht. Er hat dir sogar seine Pistole gezeigt, nicht wahr?
Genützt hatte sie ihm allerdings nichts. Das musste Babel einsehen, als eine Stationsärztin sie endlich über Karls Zustand informierte. Er war noch am Leben, aber nur gerade so. Er hatte einen Lungenriss, der von einem Messerstich herrührte, weshalb der Notarzt die Polizei informiert hatte, da alles nach einem Überfall aussah. Karls Glück war Mo gewesen, der ihn so schnell gefunden hatte, sonst wäre er verblutet.
Auf dem Fußboden unseres Büros, während Dolly ihre Songs schmettert …
Doch das Hauptproblem war die Verletzung, die Karl durch einen schweren Schlag auf den Kopf erlitten hatte. Die
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