Babkin, unser Väterchen
Leben noch vieles zu tun haben.«
Der Pope hielt noch immer sein Brustkreuz hoch und kam mit gesträubtem Bart auf Babkin zu.
»Fahr zurück zur Hölle, Satanas!« brüllte er wieder. »Hinein in den Sarg! Stör nicht die Lebenden!«
Der Einzige, der ruhig blieb und noch immer hinter seinem Teller mit dem gebratenen Hühnchen saß, war Dr. Poscharskij. Bei Babkins Erscheinen hatte er nur »Ah!« gesagt, Messer und Gabel hingelegt und sich zurückgelehnt.
Was das »Ah!« zu bedeuten hatte, konnte man nur raten; es klang so, als sei der innere Druck durch alle Zweifel an Babkins Tod wie Luft aus einem Kessel entwichen. Womit die ärztliche Unterschrift unter dem Totenschein allerdings nicht ausgelöscht war …
»Wer hier zur Hölle fährt, Sidor Andrejewitsch, wird sich noch zeigen!« schrie Babkin dem Popen ins Gesicht. »Friß dein Kreuz auf, solange du noch Zähne hast!«
Waninow verstand solches sofort. Er ließ das Kreuz auf die breite Brust zurückfallen, raffte sein langes, priesterliches Gewand und tat es wie Narinskij: Er flüchtete aus dem Haus.
Dafür begann jetzt Nina Romanowna zu schreien, raufte sich die Haare, kreischte, sie wolle sich auf der Stelle umbringen, warum ihr denn niemand ein langes Messer bringe, das man ins Herz stoßen könne, und flüchtete in die ›schöne Ecke‹ des Zimmers. Sie kroch unter das Brett mit dem ewigen Licht und dem Bild der lächelnden Madonna, als Babkin einen Schritt auf sie zutrat.
Nelli lag noch immer auf den Knien und betete laut und inbrünstig. Es schien ihr der einzige wirksame Schutz zu sein. Wer betet, dem schlägt man nicht auf den Kopf.
»So ist das nun, meine Lieben«, sagte Babkin laut und deutlich, mit kraftvoller Stimme, als habe er nie in einem Sarg gelegen. »Zurückgekommen bin ich, um alle noch einmal an meine Brust zu drücken: mein Weibchen und mein Töchterchen, meinen Schwiegersohn und die lieben Nachbarn Narinskij, Afanasjew und Sawitzkij. Und Väterchen Waninow, den rüstigen Popen. Euch alle werde ich umarmen und mich bedanken für das, was ihr mir gestern erzählt habt. Welch eine Welt habt ihr mir gezeigt! Alles habe ich gehört …«
»Alles!« stöhnte an der Wand der Lehrer Pyljow.
»Wir werden darüber sprechen, Boris Witalowitsch.« Babkin küßte sein Töchterchen Walentina auf die Stirn … Die einzige war sie, die nicht vor Angst, sondern vor Glück zitterte. »Mit allen werde ich sprechen!«
»Wer tötet mich?« rief Nina Romanowna wieder aus der ›schönen Ecke‹. »Wer kann das noch ertragen!«
Ganz ruhig, wir wissen es, war Dr. Poscharskij geblieben. Nun stand er auf, kam auf Babkin zu und sah ihn mit wissenschaftlichem Blick an.
»Umgeben sind wir von Halbidioten, Genosse! Kommen Sie mit.«
»Wohin, Bairam Julianowitsch?«
»Zurück ins Sterbezimmer.«
»Nie und nimmer! Diesen Raum gibt's für mich nicht mehr. Wenn ich noch einmal sterbe, dann dort auf dem Ofen! Wenn ich vertrocknet wie ein Stockfisch bin, erst dann ist sicher, daß ich tot bin. Vorher braucht das keiner mehr zu glauben, auch Sie nicht, Dr. Poscharskij, Sie Vollidiot von einem Arzt …«
»Eben darüber sollten wir miteinander sprechen, Wadim Igorowitsch. Ich will Sie noch einmal untersuchen.«
»Gesund bin ich. Gesund wie ein Böcklein. Fassen Sie mich nicht an!«
»Nur ein Viertelstündchen, tun Sie mir den Gefallen, Genosse …« Dr. Poscharskij gab seiner Stimme einen beschwörenden Klang. »Der Wissenschaft helfen Sie damit, der Entwicklung der Medizin, der Erforschung eines Phänomens. Bitte!«
Babkin nickte. Noch einen Rundblick warf er auf seine Familie, schob die Unterlippe verachtungsvoll vor und kehrte dann in sein Sterbezimmer zurück.
Dort empfing ihn ein neuer, heller Aufschrei. Mischin war aus seiner Ohnmacht erwacht, just in dem Augenblick, in dem Babkin wieder ins Zimmer zurückkam, und hatte der Schreiner noch Zweifel gehegt, so wurden sie jetzt völlig zerstört:
Babkin lebte! Er lief herum, ballte die Fäuste, und hinter ihm wischte sich Dr. Poscharskij den Schweiß vom Gesicht. Nein, man träumte nicht – Wadim Igorowitsch war von den Toten auferstanden, obwohl es noch nicht der Jüngste Tag war.
Weiß wie seine schreckliche Papierdecke im Sarg lief Mischin hinaus, rannte im Wohnzimmer Pyljow um, stolperte über die noch immer auf den Knien betende Nelli und raste aus dem Haus, vorbei an seinen beiden Gehilfen, die im Vorgärtchen in der Laube saßen, es sich gütlich taten an Hühnerfleisch und Kwass, schön
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