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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Nina entsetzt. »Ich, die ich dich liebe.«
    »O je!« Babkin rollte mit den Augen. »Trink und rede keine Lügen.«
    Gehorsam setzte Nina Romanowna das Glas an die Lippen, nahm einen großen Schluck und reichte den Wein an Babkin zurück. Gespannt wartete Babkin ab. Fiel sie um? Trat Schaum aus ihrem Mund? Verdrehte sie die Augen? Zuckte ihr Körper?
    Nichts dergleichen geschah. Zurück zur Ofenbank ging Nina und setzte sich wieder nach Hühnerart in die Reihe neben ihre Töchter.
    Babkin trank nun mit Genuß, lobte innerlich seinen Wein gegen das Gesöff von Maxakow und aß auch noch ein Stück von dem Mohnkuchen, der geschnitten in einem Flechtkorb lag.
    »Wo ist Pyljow?« fragte er plötzlich. Nelli zuckte zusammen.
    »Wer weiß das, Väterchen?«
    »Und Sapanow, dieser Schleicher von Briefträger?«
    Nelli erbleichte. Ihre Lider zuckten, und die Mundwinkel flatterten.
    »Zuhause wird Jakow Petrowitsch sein. Du warst nicht bei ihm?«
    »Noch nicht. Gott schuf die Welt in sechs Tagen … gönnt mir wenigstens zwei.« Babkin trank noch einmal, schnippte die Kuchenkrümel vom Tisch und seiner Hose und lehnte sich zurück. »Wann ist meine Beerdigung?«
    »Morgen früh um acht, Väterchen …«
    »So früh?« Er sah seine drei Frauen böse an. »Habt ihr es eilig, mich in die Erde zu versenken!«
    »Nur der Hitze wegen ist's, nur deswegen«, klagte Nina und drückte die Hände auf Herz. »Nicht mehr quälen wollten wir dich, wenn du in der Sonne liegst. Um acht Uhr ist es noch erträglich.«
    »Welche Fürsorge. Ich danke euch, meine Lieben.« Babkin erhob sich vom Stuhl. »Geht zu Bett. Ich setze mich in den Sessel ans Fenster.«
    »Du schläfst nicht an meiner Seite, Wadim?« flüsterte Nina Romanowna.
    »In diesem Bett? Im Sterbezimmer? Neben meinem Sarg? Unter den schwarzen Tüchern? Wer kann so etwas verlangen?«
    »Das Schlafzimmer ist hergerichtet wie früher. Nichts erinnert dich mehr daran, daß du schon tot warst.«
    »Im Sessel bleibe ich!« sagte Babkin laut. »Keine Widerrede! Den Sonnenaufgang will ich sehen … Keiner kann das begreifen, der nicht schon im Sarg lag …«
    Zu Bett ging man also, und Babkin blieb allein zurück. Er schob den Sessel ans offene Fenster und atmete die herrliche, vom Duft aus den Gärten erfüllte Luft ein.
    Wie lange werde ich nun wirklich leben, dachte er. Und: Warum bin ich umgefallen und war für alle Welt tot? Sogar für Dr. Poscharskij. Etwas muß doch in mir kaputt sein; kein Mensch fällt ohne Grund einfach um und ist steif und stumm. Welche Krankheit trage ich in mir herum? Warum erkennt sie keiner? Soll man nach Tobolsk fahren wie Zapunow und sich untersuchen lassen von den Klinikärzten? Was ist, wenn sie auch zu mir wie zu Zapunow sagen: »Genosse Babkin, nur noch ein paar Wochen, dann ist's soweit. Schick den Sarg nicht zurück, heb ihn gut auf, in greifbarer Nähe, du wirst ihn bald brauchen.« O je, wie benimmt man sich da? Doch was kann es sein, was mir fehlt? Schmerzen habe ich nicht, kein Geschwür wie Zapunow, keine Beschwerden beim Gehen, beim Wasserlassen oder im Darm, ich huste nicht und sauge kraftvoll Luft in meine Lungen … Was also, so frage ich, habe ich in mir, daß ich einfach umgefallen bin? Was kann man feststellen in Tobolsk, wenn sie mich mit ihren großen Apparaten durchleuchten?
    Viele Fragen und keine Antworten. Das bedrückte Babkin, wie es jeden von uns bedrücken würde, wenn er in seiner Lage wäre. Er fühlte sich jetzt müde und erschöpft, machte es sich in dem Sessel bequem und betrachtete den Mond, die Sterne, die wenigen silbern schimmernden Wolken, die vorüberzogen, und hatte plötzlich Angst, wirklich zu sterben.
    So schön ist das Leben, auch wenn man laufend betrogen wird … Wenn man hinaufblickt in den Nachthimmel, in diesen Himmel über Sibirien, vergißt man alles.
    Babkin, Väterchen, bete, daß du noch lange leben magst …
    Um acht Uhr am nächsten Morgen setzte sich Babkin in seinen kleinen Lieferwagen und fuhr zu dem nahen Friedhof, um sein Grab zu besichtigen.
    Sobakin, der Totengräber, im Nebenberuf auch noch Ableser der Stromzähler im Bezirk I von Ulorjansk, hatte das Grab, fleißig, wie ein Halbamtlicher nun einmal sein muß, schon am Vortag ausgehoben, aber die Grube nicht mit Tannen- und Birkenreisern ausgelegt, weil Waninow, der Pope, ihm die unerklärliche Anweisung gegeben hatte: »Nicht weiter! Es gibt da eine kleine Schwierigkeit mit Babkin.«
    Erstaunlich war auch, daß nicht die Totenglocke läutete,

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